Die Tote

Tote bag der New Yorker Buchhandlung Strand. Quasi eine Strand-Tote.

Nein, gemeint ist hier keine Verstorbene, sondern das New Yorker Accessoire schlechthin. Oder wie Wikipedia schreibt: „Eine Tragetasche (österreichisch Sackerl, englisch tote bag) dient zum kombinierten Transport kleinerer Güter. Zum Tragen sind häufig Trageriemen oder Einlassungen vorgesehen, durch die eine Hand hindurchpasst.“

Aber die New Yorker Tote ist soviel mehr. Natürlich muss sie Einkäufe transportieren, schließlich läuft der New Yorker und die New Yorkerin ständig zu Fuß, ein Verhalten, das andere US-Amerikaner*innen so gar nicht kennen. Aber viel wichtiger ist, was die Tote sonst noch transportiert, nämlich Meinungen, Ansichten, Lifestyle: 

Eine typische Tote ist eine einfache Baumwoll-Tragetasche, die qualitativ hochwertigeren aus einem etwas festeren Baumwoll-Stoff, die minderwertigen aus dünnerem. Was man hier im Supermarkt für etwa 1 -2 Euro kaufen kann, kostet in New York meistens um die 40 Dollar, denn wie gesagt, es geht ja nicht in erster Linie um den Transport von Einkäufen.

Die klassischste Tote überhaupt kann man nicht kaufen, sondern man bekommt sie, wenn man ein Abonnement beim „New Yorker“ abschießt als Dreingabe. Natürlich ziert der klassische Schriftzug „New Yorker“ die Tasche in großen Buchstaben. Es ist ein Bekenntnis zu einem intellektuellen, kulturell interessiertem Lifestyle. Wer den New Yorker abonniert hat, der liest Bücher, schätzt grafisch interessante Illustrationen, die das Leben in New York spitz kommentieren.  Der New Yorker steht für einen gebildeten, akademischen Lifestyle, für die Upper West und Upper East Side, für freie intellektuelle Kapazitäten. Wenn du diese Tasche mit dir trägst, gehörst du dazu.

Aber New York wäre nicht New York, wenn es keine anderen Botschaften gäbe, die du mit einer Tote mit dir herumtragen kannst: Jede größere öffentliche Institution hat eine Tote im Angebot, so dass du dich zu ihr bekennen kannst. Ähnlich wie bei Botschaften auf T-Shirts musst du die Codes kennen, um den Wert bzw, den Status zu erfassen. Museen verkaufen Totes mit ihrem Namen darauf, das kann jeder Tourist haben. Aber es gibt natürlich spezielle Member-Editionen, zum Teil als Freebies, an denen du Gleichgesinnte im Stadtbild erkennen kannst. Universitäten, Stadtbibliothek – die Tote hat oft einen akademischen Touch, andernfalls ist sie ein Souvenir, bedruckt mit Lady Liberty, I Love New York, einem großen roten Apfel, Katzen in New York, dem LOVE-Schriftzug, dem IMAGINE-Mosaik usw.

Die Tote gibt es natürlich auch noch teurer als 40 Dollar, nämlich dann, wenn sie von Modeschöpfern in edleren Materialien gestaltet wurde, die berühmtesten Beispiele sind die verschiedenen Tote-Modelle von Marc Jacobs, in Baumwolle ab knapp 200 Euro, als kleine Lederhandtasche ab 400 Euro zu haben.  

Der New Yorker nimmt die Tote also bestimmt nicht auf die leichte Schulter. Sie wird sorgfältig zum Outfit kuratiert, manchmal ist kaum etwas darin, denn es kommt ja auf die Botschaft an.

New Yorker sind verrückt nach ihren Totes, obwohl sie vergleichsweise teuer sind. Im Frühjahr hatte Trader’s Joe, eine Supermarkt-Kette im Discounter-Bereich, eine Tote für 2,99 $ im Angebot, die völlig unerwartet innerhalb von Stunden in allen Filialen ausverkauft war. Berichten zufolge wurden diese Totes oft teuer weiterverkauft, in Japan wurden sie derart gehypt, dass eine Tote sogar für knapp 3000 $ weiterverkauft wurde. Andere wurden bestickt und auf Etsy zu hohen Preisen verkauft.

In der Psychologie beschreibt das TOTE-Schema übrigens ein Modell zur Untersuchung von zielstrebigen Verhalten: Test, Operate, Test, Exit. Dessen Wurzeln werden (das habe ich mir alles auf Wikipedia angelesen) „im Reiz-Reaktionsschema der Behavioristen gesehen“. Ich finde, das passt ganz gut zu dieser Tasche, die ihren Träger in dieser anonymen Stadtlandschaft mit seiner Meinung und Haltung erkennbar macht.

 

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