Ein Hundeleben
Als Hund hast du es nicht einfach in New York. Überall starke Gerüche: Die halbverweste Ratte unter einem Busch im Central Park oder auf einem Bürgersteig an der nördlichen 5th Avenue, der infernalische Lärm von Krankenwagen-Sirenen (110 db per App gemessen), ständig hupen Autos und Lieferwagen im ewigen Stau midtown. Sie hupen auch, wenn sie gar nicht vorwärts kommen können, es kann ja keiner ausweichen, reine Triebabfuhr. Leise sind nur die tückisch schnell rasenden E-Bikes. Mit deiner Schnauze bist du ständig auf der gleichen Höhe wie jeder Auspuff, und E-Autos gibt es hier nur relativ wenige. Fieser Dreck und im Winter Streusalz-Rückstände finden sich auf allen Wegen, das greift deine empfindlichen Pfoten an - deshalb tragen viele Hunde recht albern aussehende Pfoten-Schuhe.
Die Stadt ist grau, an den Bäume, das „Straßenbegleitgrün“, kannst du weder schnuppern noch kannst du an sie pinkeln, weil sie meistens durch kleine Metallzäune geschützt werden, welche oft gespickt mit scharfen Zacken und Dornen, damit sich auch ja kein Obdachloser darauf kurz ausruht. Es gibt nur wenige Parks in dieser steinernen Ödnis. Und auch dort sind die Flächen für den Auslauf von uns stark begrenzt. In Manhattan gibt es nur den Central Park mit größeren Flächen für Hunde. In den übrigen Parks wie Washington Square Park und Madison Park sind kleine Flächen mit Kunstrasen und einem Mini-Hügel abgetrennt und für Hunde reserviert. Im Bryant Park gibt es gar keinen Auslauf für Hunde. Wenn es also mal so einen kleinen Hunde-Spielplatz gibt, ist das natürlich nix, wenn du ein Sensibelchen bist. Irgendwie gibt es immer eine große, mächtige Töle, die den Platz kontrolliert und den anderen Schoß- und Handtaschen-Hündchen zeigt, wer hier der Boss ist. Da kannst du dich nur in eine Ecke quetschen. Dann gibt es natürlich mindestens einen absoluten Neurotiker, der nach allen schnappt. Und den unausgelasteten Hütehund, der dich einmal um den ganzen Platz jagt. Den Penner, der überall schlafen kann, auch hier, und den einzigen Schattenplatz blockiert, aber hey, die Sonne wandert ja, da musst du halt nur warten, bis der Schatten eine Ecke weiter ist. Die kleine Chihuahua traut sich natürlich nicht raus aus ihrer Chanel-Handtasche, aber immerhin schaut sie ganz aufgeregt. Für Frauchen und Herrchen ist es natürlich eine ganz andere Geschichte: Die haben hier endlich mal Sozialkontakte, stehen da mit ihren albernen Stanley Cups in der Hand, unterhalten sich und passen nicht auf, dass gerade wieder mal ein frecher Rüde am Hintern ihrer winzigen, zitternden Hündin schnuppert.
Herrchen und Frauchen sind ja sowieso Stadtwesen, sonst würden sie dich ja nicht zwingen, hier zu leben und alberne Pullis, Trikots oder Regenmäntelchen mit modischen Mustern und zu irrsinnigen Preisen zu tragen. Hallo, wir stammen vom Wolf ab, was soll das?!
Oft haben sie aber sowieso keine Zeit, dann wirst du gegen Mittag von einem Professionellen abgeholt, ein Service, der deinen Besitzer etwa 500 Dollar im Monat kostet (für eine Stunde zahlt man zwischen 16 und 25 Dollar, also lange bist du da bei diesen Preisen nicht unterwegs, das sage ich dir). Der hat einen dicken Schlüsselbund oder kennt die Zugangs-Codes von deinem Apartment und dann heißt es „Gehorchen“. Da ist Schluss mit lustig. Du läufst dann da mit mindestens einer Handvoll Kollegen über die Bürgersteige in flottem Tempo bis zum nächsten Park, dann solltest du deine Geschäfte zügig erledigen. Wenn du dich kooperativ verhältst (Stichwort: Stockholm Syndrom), lässt er oder sie dich auch mal von der Leine und frei laufen. Aber nur, wenn du in etlichen Übungen vorher bewiesen hast, dass du nicht abhauen wirst. Aber wo solltest du denn auch in dieser Sch...Stadt hin?
Für 250 Dollar nimmt dich so ein Dog Walker auch schon mal auf einen Tagesausflug raus in den Norden von New York, bis in einen richtigen Wald im Hudson Valley. Das wird dann gefilmt, damit dein Besitzer, der den ganzen Tag in einem öden, fensterlosen Office verbracht hat, sich das abends ansehen kann, während du hundemüde (haha!) in deinem zur Inneneinrichtung passenden Körbchen schläfst und träumst und nur noch ab und zu deine Pfoten zucken.
Am Wochenende kümmern sich aber unsere Besitzer selbst. Sie gehen mit uns joggen im Park (hechel), radeln (hechel, hechel, seufz, da bleibt gar keine Zeit zum Schnuppern), schleppen uns in Cafés, wo wir unterm Tisch liegen, bis uns jemand auf den Schwanz tritt. Kinder streicheln uns. Und es werden Selfies mit und Fotos von uns gemacht, denn neben Trost in dieser verrückten Stadt sind wir natürlich auch ein wichtiges Lifestyle Accessoire, ein Statussymbol.
Rechnet mal mit: 500 Dollar im Monat allein für’s tägliche Gassigehen, dazu Tierarzt, Versicherungen und vor allem natürlich Futter! Da fließen die Dollars nur so dahin – 8000 bis 10.000 Dollar sind da schnell weg im Jahr, und dann war das noch kein Luxus. Andererseits kostet ein Kind natürlich noch viel mehr, und das auch noch länger, und es braucht noch mehr Aufmerksamkeit. Und unser größter Vorteil: Ein Kind gibt dir natürlich nicht soviel Liebe zurück. Das ist ja auch unser größter Vorteil gegenüber Katzen.
Deshalb gibt es in New York auch ungefähr 600.000 von uns, aber nur 500.000 Katzen, und die sieht man fast nie draußen, die leben ja nur drinnen, zwischen Futternapf und Katzenklo, was wissen die schon von der harten Welt da draußen!
Hunde sind natürlich wichtige Arbeitgeber, nicht nur für Dog Walker, sondern auch für Tierärzte, Hundefriseure (und ja, es gibt auch Hundefriseure, die nicht nur waschen, schneiden und föhnen, sondern auch färben...), Physiotherapeuten und Tierpsychologen. Es gibt Dog Spas, in denen wir gewaschen und frisiert werden, auch im Self-Service (arrrghh, wer mag das schon, dann doch lieber Profi). Vor allem gibt es Hundetrainer, also Menschen, die unsere Menschen trainieren, damit sie wissen, wie wir so ticken. Die bekommen das ja sonst gar nicht auf die Reihe. Gerade während COVID wurden ganz viele Labradoolde-Kollegen und Maltipoos spontan angeschafft, damit die Kinder was zu knuddeln hatten und man mal raus in den Park gehen würden, aber sie machen ja doch Arbeit! Jetzt drängeln sie sich in Tierheimen und Dog Shelters und warten auf eine zweite Chance – ein trauriges Leben.
À propos Shelter - da kommt der Advent ins Spiel: Am 2. Adventssamstag konnte man tatsächlich eine Art „Hunde-Wohnwagen“ vor einem großen Tierbedarfsgeschäft am Madison Square stehen sehen. Auf dem Bürgersteig hatte eine Organisation Tische mit Formularen aufgebaut. Da konnten sich Passanten für eine Viertelstunde einen Hund zum Gassi gehen leihen und danach entscheiden, ob sie ihn gleich adoptieren (praktischerweise konnten sie dann im Geschäft dahinter alles für den Hund kaufen). Jetzt stell dir mal vor, eine Familie mit einem gelangweilten Kind kommt da vorbei und das Kind fängt an zu betteln.... nur weil du dann unvorsichtigerweise „sooooo süüüüß“ hinter deinem Gitter hervorgeschaut hast, verbringst du dann die nächsten Monate bei so einem unvernünftigen Zwerg, der dich dauernd an den Ohren und am Schwanz zieht! Und wenn du dann nach drei Monaten einmal schnappst, wirst du noch vor Ostern (und dem Skiurlaub in Colorado) wieder zurückgegeben. Adopt a Pet – also, meiner Meinung nach sollte so etwas zumindest vor Weihnachten verboten werden.... aber ist ja nur meine Meinung. Es gibt übrigens auch richtige Adopt a Pet Shops in der Stadt, neben den Tierhandlungen, in denen man auch unüberlegt und spontan mal einen Hund kaufen kann.
Es gibt natürlich einige von uns, die populärer sind, als andere, aber ein wenig hängt es auch immer davon ab, wie groß und in welcher Lage das Apartment unseres Besitzers ist: Es gibt viele Labradoodles, Maltipoos und Cockapoos, weil sie allergikerfreundlich sind und nicht viel haaren. Im Central Park kann man wesentlich mehr Corgies sehen als im Buckingham Palast. Auch Dackel (Wiener Dog) sind sehr beliebt, und zwar hauptsächlich in der Glatthaar-Variante. American Pittbulls sieht man gerne in Gegenden, in denen man sich nicht sooo gerne aufhält oder aber tatsächlich mit sehr netten, hundelieben jungen Frauen am anderen Ende der Leine. Golden Labradore und Retriever sind Hunde der Upper East und Upper West Side, große Hunde brauchen große Apartments und einen großen Park, den Central Park. Wer es geschafft hat und einen eleganten Hund benötigt, entscheidet sich für einen Weimaraner. Malteser sind vor allem bei Frauen sehr beliebt. Im Central Park an der Bethesda Terrasse läuft häufig jemand mit gleich fünf Cavalier King Charles Spaniel vorbei, aber das ist tatsächlich eine Rasse, die man nicht häufig sieht, ebenso wie vielleicht einen braunen oder schwarzen Labrador. Möpse und French Bulldogs gehören von der Beliebtheit eher ins Mittelfeld.
Eine drollige Regelung schränkt übrigens das Mitnehmen von Hunden in der U-Bahn ein: Erlaubt sind nur Hunde, die auf dem Arm bzw. in einer Tasche getragen werden können. Gut für große Hunde, dass es die großen blauen Tragetaschen eines schwedischen Möbelherstellers gibt! Manche Hundebesitzer von großen bzw. sehr schweren Hunden schneiden vier Löcher für die Hundebeine rein, dann steht da so ein Kollege in der IKEA-Tüte auf dem Bahnsteig, Fotos davon kursieren zu Hauf im Internet.
Aber auch im Rucksack werden Hunde transportiert: Einmal kam ein Radrennfahrer vorbei, der hatte einen Labradoodle im Rucksack, der ihm extrem gönnerhaft eine Pfote auf die Schulter legte und über die Schulter nach vorne schaute und den Fahrtwind genoss. Ein Bild für die Götter! So möchte wohl jeder sein Leben genießen.