Sonntage in Harlem: Kirchen, Braids und Brunch

One way. Or another. Schwarz-Weiß.

Der Blick aus meinem Wohnzimmer geht auf eine der etwa 400 Kirchen in Harlem. Der Blick aus meinem Schlafzimmer geht auf eine weitere. Wenn ich um die Ecke gehe, komme ich auf dem Weg zum nächsten Supermarkt an weiteren zwei Kirchen vorbei. Gefühlt gibt es hier keine einzigen Straßenblock, in dem sich nicht eine kleinere oder größere Kirche befindet. Die Kirchen haben alle sehr unterschiedliche Ausrichtungen, fast, als ob man eine Menge Adjektive wie „christian“, „episcopal“, „lutheran“, „evangelical“, „methodist“, „baptist“ etc. in einen Topf geworfen hätte, im nächsten Topf dann  „hispanic“, „abbessinian“, „Bethel“ oder einen Namen wie  „Mount St. Olive“, „White Rock“, „St. John“, etc., und im letzten Körbchen dann „Church“ oder „Temple“. Das kombiniere man dann munter, und schon hat man eine real existierende Kirche hier. Manche sind auch nach einem Pastor, der damit sein Geld verdient, benannt.  Eine der Kirchen in der Nachbarschaft beschallt die gesamte Straße über Lautsprecher mit Halleluja-Gesängen und obskuren Predigten. Auf der Werbetafel an der Straße werden mit den typischen versetzbaren schwarzen Buchstaben immer neue Hassbotschaften gegen  LQBTQ, Juden und Immobilienhaie gepostet und wurde deshalb auf eine offizielle Liste gegen Hate Speech gesetzt. Passiert ist deshalb aber noch nichts.

Wenn ich sonntags wach werde, sehe ich durch die Lücke zwischen den gegenüberliegenden Häusern auf den Parkplatz, der für den Pastor der Kirche freigehalten wird. Er kommt mit einer riesigen schwarzen Limousine. Dann versucht er, parallel in diesen sehr, sehr großen Parkplatz einzuparken. Das kann dauern, meistens benötigt er etliche Versuche. Unter fünf Minuten geht es selten. Ich habe ihn mir deshalb immer würdig ergraut vorgestellt, tatsächlich aber  sah ich neulich einen Mann Mitte 30 aussteigen. Vermutlich lebt er also in irgendeinem Vorort, wo man in riesigen Einfahrten senkrecht einparkt.

Sonntags kommen auch geführte Touristengruppen nach Harlem, um einen Gospel-Gottesdienst zu erleben. Sie müssen sich vorher bei der jeweiligen Kirche anmelden und in den meisten Fällen auch vorher schon einen als „Spende“ deklarierten Umschlag abgeben. Als Weiße(r ) in Harlem wird man kaum in eine Kirche „einfach so zum Gottesdienst“ hineingelassen, das habe ich für euch so überprüft: „No tourists“. Da hilft es auch wenig, wenn man eine New York ID hat. Unter Umständen kommt man so einmal rein, aber akzeptiert wird man nicht. Auch der Gottesdienst richtet sich nicht an alle. Die biblische Botschaft kommt kaum vor, es gibt viel „black empowerment“, ist mitunter sehr politisch. Dafür aber übernehmen die Kirchen viele Quartiersaufgaben, die eigentlich staatlich oder kommunal gelöst werden müssten: Sie sind Kommunikationszentren, es gibt kostenlose regelmäßige Essens-und Kleiderausgaben an Gemeindemitglieder, die wirklich mitunter bitter arm sind, und an Obdachlose. Im Sommer wird nach dem Gottesdienst auf den Bürgersteigen lecker gegrillt, das ganze Viertel duftet dann nach Hähnchen und Schwein.

Eine andere Art von Kommunikationszentren sind die vielen Läden, in denen man sich Braids flechten lassen kann. Die gibt es hier in ähnlicher Anzahl wie Kirchen, einen auch gegenüber unserem Haus. Das Flechten nimmt viel Zeit in Anspruch, und so sind sie an den Abenden und sonntags rappelvoll. Mütter sitzen in den Friseursesseln ihrer Freundinnen, die ihnen die Haare flechten. Kinder spielen zu ihren Füßen. Es wird gelacht und erzählt.

Ebenfalls voll sind die zahlreichen Möglichkeiten zum Brunchen, das ist eine Lieblingsbeschäftigung nicht nur in Harlem, sondern in ganz New York und wird von vielen Restaurants angeboten. Wir aber gehen gerne in eines der Cafés in Harlem. In unseren beiden Lieblingscafés treffen die Welten zusammen: Leute aus Harlem, Studenten und Dozenten von der Columbia University, junge Frauen, die vom Yoga kommen, Leute, die gerade mit dem Hund spazieren gehen, Familien mit kleinen Kindern, Schwarz, Weiß, Hispanic, die ganze Welt auf der Suche nach dem kleinen, freundlichen Kick durch etwas Koffein – nur bei „regular“ oder „oat“ milk scheiden sich vielleicht die Geister.

Auf dem Weg zum Café gehe ich über eine Straßenkreuzung, natürlich eine, an der eine Kirche steht. Ein Prediger versucht ein älteres Pärchen, das an der Ampel steht, anzusprechen und in den Gottesdienst einzuladen. Die Frau antwortet:

„We are doing the right thing, we are waiting for the light.“

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