Unterirdisch 2
Die Subway ist die Lebensader von New York, sie pumpt die Menschen durch diese Stadt im Takt der Züge, hin zum Herzen downtown und wieder zurück in die äußeren Stadtteile. In einer Stadt, in der Parken richtig, richtig teuer ist, hält die Subway für den Preis von 2,90 Dollar die Stadt am Laufen. Bei Starkregen überflutet, so dass die Stationen unter Wasser stehen und Fontänen zwischen den Wandfliesen hervorspritzen, so wird sie dennoch am nächsten Tag wieder fahren. Vielleicht nicht pünktlich, vielleicht ist dann nicht jede Station offen, aber die Technik ist robust genug, dass der Betrieb irgendwie weitergeht.
Über die Subway wird alles transportiert, was tragbar ist. An Weihnachten sieht man viele Menschen, die ihren Tannenbaum in der U-Bahn transportieren. Auch Sofas werden schon mal mit der U-Bahn transportiert. Essenslieferanten kürzen mit den Express-Bahnen ihre Strecken ab und blockieren mit ihren E-Bikes die Wagons. Hunde dürfen „eigentlich“ nicht mit der Subway fahren, es sei denn, der Besitzer kann sie auf dem Arm tragen. Das führt zu zum Teil zu interessanten Arrangements, es wird mit Tüten und Tragetaschen getrickst, um auch große Hunde mitnehmen zu können. Oder einfach ignoriert, dann liegt eben doch ein riesiger Schäferhund quer im Wagon.
Wenn man mit einer Express-Linie fährt, gibt es zwischen weiter auseinanderliegenden Haltestellen oft Darbietungen jedweder Art von Menschen, die sich dazu berufen fühlen, aber oft weniger berufen sind. Da wird gepredigt, es werden Gedichte vorgetragen, es spielen die Panflöten, Ukulelen, es wird getanzt und Akrobatik gemacht. Der Sound einer Boom Box füllt den ganzen Wagon und junge Männer mit freiem Oberkörper winden sich um die Haltestangen, rappen und tanzen HipHop. Die meisten Mitfahrenden schauen stoisch geradeaus, aber ein paar Leute spenden doch immer nicht nur Applaus, sondern auch einen Dollarschein.
Für einige Menschen ist die Subway ein verheißungsvoller Anfang eines neuen Lebens - zwei Dollarscheine zahlt man für Süßigkeiten, die von den kleinen, südamerikanischen Migrantinnen aus einem vor den Bauch gehängten Karton heraus verkauft werden. Diese Mädchen und jungen Frauen schleppen oft ein Baby in einem Tuch auf den Rücken, manchmal sogar Kleinkinder, die sich mit einem ebenfalls in das Tuch geschlungenen Handy beschäftigen. Im Sommer haben sie auch frisch geschnittenes Obst, hauptsächlich Mangos, im Angebot. Ihr Ruf „Mango, Mango!“ schallt durch die Stationen. Hier treffen sie sich für ein kurzes Gespräch unter Freundinnen, dann geht es in den nächsten Zug oder in den nächsten Wagon.
Und für andere Menschen ist der Untergrund die Endstation, sie ist Wohn-und Schlafzimmer für die zahlreichen Obdachlosen. Diese fahren besonders gern mit den „local“ Trains, die lange Strecken in weit außenliegende Bezirke fahren. Mehr als einmal wäre mir ein Fentanylabhängiger, der sich nicht mehr gerade halten konnte, fast auf die Füße gekippt. Man trifft hier auf das gesamte Elend, das diese große Stadt zu bieten hat, vom unversorgten psychisch Kranken über mittellose Migranten bis hin zu Drogenabhängigen, eher wenig betrunkene, aber dennoch einige Menschen, welche die Kontrolle über ihr Leben oder sogar ihre Körperfunktionen schon längst verloren haben. „The empty wagon is empty for a reason“, sagen die New Yorker, „der leere Wagen ist leer aus einem Grund“, das stimmt, immer. Und du willst den Grund nicht wissen, glaube mir.
Die Frau, die mir gegenüber in der Subway (D Linie) sitzt, beendet ihr Telefonat, stopft das Handy in ihre voluminöse Handtasche und beginnt so laut laut zu schimpfen, dass selbst der eingeschlafene FedEx-Bote neben ihr entsetzt die Augen aufreißt:
„Go to hell. Go to f***ing hell. Go to f***ing hell, you f***ing scumbag. You f***ing scumbag!!!“
Dann zieht sie ein schon etwas abgelesenes Heftchen aus der Tasche und beginnt zu lesen – der Titel: “Prayers and Contemplation”.