Unterirdisch 1
New York könnte ohne die Subway nicht funktionieren. Obwohl einzelne der 472 Stationen und vor allem die Tunnel zum Teil recht vernachlässigt und heruntergekommen wirken, wird doch seit 1904 der Betrieb aufrecht erhalten. 27 Linien erschließen den Untergrund der Stadt und verbinden für den Preis von 2,90 Dollar so weit entlegene Punkte wie Inwood 207 Street ganz im äußersten nördlichen Zipfel Manhattens bis Far Rockaway, einen Strand auf Long Island - die A-Linie. Nicht alle der momentan 370 Kilometer Strecke verlaufen unterirdisch, außerhalb Manhattans wechseln viele Linien an die Oberfläche, zum Teil auch auf Hochstrecken, wie zum Beispiel in der Bronx oder Queens. In Manhattan verläuft nur die Linie 1 für kurze Zeit oberirdisch, nämlich ab der 122. Straße, bis sie wieder aufgrund der Topographie in einen Hügel Manhattanvilles /West Harlems an der 135. Straße hineinfährt. Auch bei der Fahrt über die Williamsburg Bridge kann man in den Linien M,J und Z kurz das Tageslicht sehen.
Obwohl in Manhattan also bis auf diese Ausnahmen alles unterirdisch verläuft, wurde auch über der Erde das Stadtbild in einigen Teilen maßgeblich von der U-Bahn geprägt: Die Hauptverbindungen in Nord-Süd-Richtung verlaufen südlich des Central Parks zumindest teilweise unter den großen Avenuen: Park Avenue, 6. , 7. und 8. Avenue, aber auch unter dem Broadway entlang. Das war insofern praktisch, als dass man die Tunnel einfach von der Straßenoberfläche her ausschachten konnte. Je weiter man allerdings in den Süden die Subway entwickeln wollte, desto eher stieß man auf die alten kolonialen Straßenstrukturen. Im West Village bzw. Greenwich kann man daher sehen, dass viele Häuser, Grundstücke oder Plätze an den Straßenkreuzungen mit einer Avenue einen dreieckigen Grundriss haben. Das sind quasi die „Restflächen“ die übrigblieben, als die Avenuen in den Süden verlängert wurden. Manch ein Grundstücksbesitzer musste weichen. In einem besonders krassen Fall blieb nur ein ganz winziger Rest übrig, auf dem man heute noch eine Metallplakette sehen soll (die habe ich leider nicht gefunden).
Im Norden Manhattans wurden durch den U-Bahn-Ausbau neue Wohngebiete erschlossen. Es entstanden die wunderschönen Brownstone-Häuser in den Straßen Harlems und läuteten die große Ära der „Harlem Renaissance“ ein, der „Sugar Hill“ wurde im Swing besungen, in der „Swing Street“ und den umgebenden Clubs wurde Jazz gespielt und das Leben gefeiert.
Bill Strayhorn und Duke Ellington besangen das goldene Zeitalter, welches durch den Bau der A-Train eingeläutet wurde:
„You must take the "A" train
To go to Sugar Hill way up in Harlem
If you miss the "A" train
You'll find you missed the quickest way to Harlem
Hurry, get on, now it's coming
Listen to those rails a-thrumming
All aboard, get on the "A" train
Soon you will be on Sugar Hill in Harlem“
Die schnellen Rhythmen und die treibende Trompetenstimme geben die Modernität des Zuges, sein Pfeifen und seine Geschwindigkeit wieder, aber auch die Lust am Leben, das dort in Harlem stattfand, ungeachtet von Rassentrennung und Prohibition.
An den Adventssamstagen kann man diese Epoche in einem alten Museumszug nacherleben. Zwei Linien werden ringförmig zusammengeschlossen und jede Stunde dreht der historische Zug seine Runde. Viele Menschen fahren in Kleidung der Zwanziger und Dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts gekleidet mit. Die Wagons sind nicht klimatisiert, man schwitzt oder friert abwechselnd, die Scheiben laufen an, Ventilatoren surren über den Köpfen. Aber es herrscht gute und vorweihnachtliche Laune.
Viele Stationen wurden künstlerisch gestaltet. Die ältesten Stationen wurden im Stil von Beaux Art und Greek Revival gestaltet, die Eingänge dazu zeigen Elemente von Art Nouveau. Ab Mitte der 1920er Jahre wurde es schlichter, dafür kam „Kunst am Bau“ hinzu. In 350 der insgesamt 472 Stationen sind mittlerweile Kunstwerke zu besichtigen, natürlich alles kostenfrei bis auf das U-Bahn Ticket. Mosaiken in Harlem zeigen Szenen aus dem Jazz und schwarzer Kultur oder auch berühmte Sportler wie Jesse Owens, die 110. Station der Linien 2 und 3 ist Malcom X gewidmet. Yoko Ono entwarf die Wolkenmosaike, die zu Frieden aufrufen in der Station an der 72. Straße, gegenüber dem Dakota Building, vor dem John Lennon erschossen wurde, und von wo aus man die Strawberry Fields mit dem „Imagine“-Mosaik erreicht. Am Columbus Circle trifft man auf Mosaike des Künstlers Sol Le Witt, Roy Liechtenstein hat ein Kunstwerk für den Times Square beigesteuert, mit Lack auf Porzellan gemalt. Am Times Square kann man auch Jack Beals Mosaiken sehen, die unter anderem Straßenbauarbeiten in Manhattan zeigen. Von William Wegman sind die Weimeraner an der 23. Straße. Die Bronzefiguren von Tom Otterness an der 14. Straße finden viel Publikum, da dies eine der frequentierteren Stationen ist. Das sind nur wenige Beispiele, es gibt viel zu sehen und zu entdecken.
Noch mehr Kunst wird durch die Straßenmusiker in New Yorks Unterwelt gebracht. Das meiste davon ist ziemlich gut, denn wer hier legal spielen möchte, benötigt eine Lizenz, die es durch ein Vorspiel vor einem Komitee zu erlangen gilt. Besonders gute Musik gibt es in der Grand Central Terminal Station zu hören, da stimmen Ambiente und Akustik. Hier triff man im Winter einen meiner Lieblings-Straßenmusiker, den Trompeter Eganam Segbefia (auf Instagram unter eazy360 zu finden, bei gutem Wetter findet man ihn im Central Park) oder aber auch mal gute Cellisten. Ohne Lizenz haben zum Beispiel Greenday im Januar ein Überraschungskonzert im Rahmen der Jimmy Fallon Show in der Station vom Rockefeller Center gegeben. Natürlich habe ich es verpasst, wie so vieles in dieser Stadt. Das ist vermutlich die größte Herausforderung von New York: Überall passiert etwas Grandioses, und man kommt immer zu spät.