Stadtsafari
Redtailed Hawk im Central Park
Auch wenn es nicht so auffällt, New York ist voller Tiere. Die 600.000 Hunde und 500.000 Katzen habe ich ja schon einmal erwähnt, aber es gibt ja auch noch Tiere, die keine Haustiere sind. Die meisten davon mag der New Yorker nicht und warnt davor. Noch bevor wir uns auf die Suche nach einer Wohnung machten, bekamen wir den Tipp, Brownstone Häuser bzw. alles „Pre War“ zu meiden. Warum? Weil sich dort oft Kakerlaken herumtreiben, die man nicht loswird. Ein beliebter Tipp von Freunden war, wenn man doch eine solche Wohnung anmietet, beim Nachhausekommen die Augen schließen, die Tür öffnen, Licht machen und dann erst die Augen öffnen. Dann seien alle Kakerlaken und das ganze Ungeziefer verschwunden.
Wir haben Glück mit unserer Wohnung – obwohl sie sich in einem Brownstone befindet, ist sie frisch und hochwertig renoviert und absolut frei von Kakerlaken.
In der Straße gibt es jedoch vor einigen Häusern flache, schwarze Plastik-Schachteln mit einem runden Loch an der Seite. Wir lernen schnell, dass das Rattenfallen sind. In den feineren Viertel gibt es sie auch in Stein-Optik. Anfangs im Herbst sahen wir abends beim Spazierengehen noch zwei kämpfende quieckende Ratten. An unserer U-Bahn Station lebte bis zu zu dem Wochenende mit den ganz heftigen Regenfällen, an dem viele Stationen unter Wasser standen, „Pizza Rat“ zwischen den Gleisen, die sich von Abfällen ernährte und auch schon mal ein ganzes Pizza-Stück ins Dunkle schleppte. Ein anderes Mal sprangen gleich drei entsetzte Ratten unter einem startendem Auto hervor. Das änderte sich sehr im Laufe des Winters. Die New Yorker Stadtverwaltung war es leid, dass New York als die „Weltstadt der Ratten“ annonciert wurde, noch vor Neu Dehli. So wurde es ernst: An der East Side wurde in jedes Rattenloch, das man fand, Gas eingeleitet. Es wurden Köder verteilt. Es wurde Gift gestreut.
An einem Abend im Januar waren wir nach einem sehr schönen Konzert (Kostenlos! Wunderbar! Wir in der 2. Reihe, direkt vor der begnadeten Sopranistin!) in einer Kirche in der Upper Westside (aber von der Carnegie Hall organisiert) auf dem Rückweg noch in einem Laden, in dem es sehr günstig französischen Käse und allerlei Leckereien gab. Als ich dann mit drei Käsestücken in der Hand zum Gemüse schritt, hoppelte dort eine gut genährt Ratte schnell über Rote Beete, Möhren, Gurken und Dill ins Dunkle… bin mir nicht sicher, ob ich dort noch einmal einkaufen werde, obwohl sie beim Käse unschlagbare Preise hatten… alles hat eben seinen Preis.
Diese Ratte ist auch der Grund, warum ich gegenüber den zahlreichen Gemüseständen in der Stadt misstrauisch bin. In Harlem bleiben einige Stände über Nacht stehen und werden nur ein wenig abgedeckt, manchmal sitzt dort noch jemand, um sie auch noch nach Mitternacht zu bewachen, aber der nickt ja auch ab und zu ein. Ich stelle mir trotzdem vor, dass die ein oder andere gesundheitsbewusste, vegane Ratte nachts sich dort wie im Paradies wähnt.
Gemüseladen-Ratte bzw.Red Beet Root Rat war jedenfalls eine der letzten, die ich gesehen habe. Es werden immer weniger, das drastische Bekämpfungsprogramm zeigt Wirkung.
Zu den beliebteren Tieren gehören die unzähligen grauen Eichhörnchen im Central Park. Im Herbst verbuddeln sie wie die Weltmeister Nüsse im Boden. Sie lassen sich füttern, sie ignorieren die Hunde. Im Frühling jagen sie einander hinterher, verteidigen entweder ihr Revier oder versuchen sich zu paaren. Manchmal hat man Glück und sieht auch ein dunkles Hörnchen. In unserem Hinterhof gab es sogar ein rotes Eichhörnchen, ganz wie zu Hause im Taunus.
Ganz wild auf die Eichhörnchen im Central Park ist ein Redtailed Hawk (Rotschwanzbussard , Buteo jamaicensis), den ich ein paar Mal im Centralpark kreisen sehe. Er soll in einem an den Central Park angrenzendem Gebäude nisten.
Auf einem anderen Spaziergang durch den Park entdeckte ich einen Waschbären hoch oben in einem Baum.
Tierisch berühmt – das war Flaco, der Eurasische Uhu (Bubo Bubo), ein Tier, dass die New Yorker in ihrer Seele berührte. Warum? Flaco war ein Zootier, er schlüpfte schon in Gefangenschaft aus dem Ei, in einem Vogelpark in North Carolina. Noch im gleichen Jahr (2010) kam er in den Zoo im Central Park. Dort lebte er über 12 Jahre, bis eines Nachts Unbekannte ein Loch in das Gitter seines Geheges schnitten, durch das er dann entkam. Niemand dachte, dass er in Freiheit überleben könnte, er war bis dahin nie frei geflogen, er hat nie selbst gejagt. Aber seine Instinkte hielten ihn am Leben und auch in Freiheit. Er verschmähte ausgelegte Köder, man konnte ihn nicht mehr einfangen. Schlaflose New Yorker sahen ihn nachts auf einem Fenstersims sitzend, er hatte einen „Stammbaum“ in der Nähe der großen Komposthalde im Nordteil des Central Parks. Ornithologen beobachteten ihn. Ich habe ihn oft gesucht, wenn ich im Central Park unterwegs war, konnte ihn aber nie entdecken. Zu dieser Zeit war er – vermutlich wegen der Störungen durch den New York Marathon Anfang November – ins East Village ausgewichen. Für die New Yorker, die sich selbst gestresst in zu kleinen Wohnungen leben sahen, gefangen in der Mühle des täglichen Überlebens, wurde Flaco der heimliche Held, ein Held, der die gestutzten Flügel ausbreitete und durch die Stadt flog, sich niederließ, wo er wollte, bei anderen durch die Fenster schaute. Wall Street Journal nannte ihn „peeping tom“, Zeynep Tufekci von The New York Times erkor ihn zum „Ultimate New Yorker“. Flaco wurde in kürzester Zeit zum Freiheitssymbol, es wurden Gedichte und Lieder über ihn verfasst. Man machte sich Sorgen, dass er an Rattengift sterben könnte, oder wie der Seeadler, der kurzzeitig über dem zentralen Jacqueline Kennedy Onassis Reservoir kreiste, am Ende mit einem Auto zusammenstoßen könnte (der Seeadler hatte sich innerhalb kurzer Zeit von der Jagd auf Fische in dem Wasser Reservoir auf überfahrene Tiere am Henry Hudson Parkway umgestellt und wurde bald von einem Auto erfasst). Am 23. Februar gab es einen wunderschönen farbigen Sonnenuntergang, der alle Fassaden leuchten ließ, die rote Sonne spiegelte sich in allen Glasflächen auf geradezu magische Weise. Das schönste Abendrot, was ich in New York erlebt habe. An diesem Abend flog Flaco gegen eine Fassade in der West 89th Street und starb. Eine Autopsie ergab, dass er zu diesem Zeitpinkt bereits durch Rattengift und einen Tauben-Herpes-Virus geschwächt war.
Ganz New York trauerte, die Zeitungen berichteten, Blumen und Plüscheulen wurden unter „seinem“ Baum niedergelegt, es gab eine Gedenkfeier. Seine Übrereste wurden dem American Museum of Natural History übergeben, er wird ausgestopft werden und bleibt so Teil der New Yorker Stadtgeschichte.