Januar
Heute war es hier ein unglaublich warmer Tag mit 14 Grad. Allerdings wurde es ab Mittag dann immer kälter und heute Abend soll es frieren, ab Dienstag eventuell schneien. Ganz New York möchte endlich Schnee sehen im Central Park, und wir auch.
Und sonst so? Mit der Kälte verzieht sich Obdachlosigkeit in die U-Bahn-Stationen und auf in die einzelnen U-Bahnen. Neulich wäre mir in der U-Bahn fast ein Fentanyl-Abhängiger von seinem Sitz mir gegenüber auf die Füße gekippt. Er konnte sich kaum auf dem Sitz halten, rutsche mit tief gesenktem Kopf (den konnte er nicht mehr heben) immer wieder fast bis auf den Boden und kippte bedrohlich nach vorne. Ein Mann hustete derart im Wagen, dass alle Leute ihre Masken suchten, sich Schals und T-Shirts über das Gesicht zogen und schließlich bei der nächsten Möglichkeit den Wagen verließen. Zum ersten Mal flippte sogar ein New Yorker (sonst wird ja alles stoisch ignoriert) aus und forderte den Mann auf, nicht in den ganzen Wagen zu husten. Und in einigen Stationen riecht es jetzt - nun ja, wie das Herrenklo am Oktoberfest. Nicht schön. Aber wo sollen sie hin? Kältebusse oder so gibt es hier nicht.
Wir kommen am Abend von einer Veranstaltung. Draußen singt ein Mann ein Lied über ein schönes Mädchen, das ihn verlassen hat. In unserer U-Bahn-Station hockt ein Drogenabhängiger am Boden, völlig verkrümmt krampfend, die Polizei kümmert es nicht.
Über Nacht hat es endlich geschneit. Vor unseren Fenstern tanzen weiße Flocken. Unser Stoop (die Treppe vor unserem Brownstone House) ist von einem knappen Inch Schnee bedeckt. Ab zwei Inch Schneehöhe darf im Central Park gerodelt werden. Ich schnappe mir meine Kamera und laufe in das Schneegestöber. Einige Nachbarn räumen schon die Bürgersteige, ich muss jetzt schnell sein, wenn ich noch ein paar Bilder machen möchte. An der Markise eines Restaurants hängen dicke Eiszapfen. Auch im Central Park fahren jetzt schon kleine Räumfahrzeuge und machen die Wege schneefrei. Ich laufe um die verschneiten Ufer des Harlem Meer, hin zu den Wasserfällen in der Nähe der nördlichen Upper West Side (The Ravine), weiter am Belvedere vorbei nach Süden. Aber ach, der Schnee schmilzt schneller, als ich schauen kann. Der weiße Schnee lässt alles sauberer und freundlicher wirken, die Flocken im Wind geben eine verspielte Note, die New York sonst nicht hat. Auch wenn Schnee in einer Stadt schnell grau und schmutzig wirkt, so scheint doch für einen kleinen Moment alles verzaubert.
Ein paar Tage später schneit es wieder, dieses Mal sogar noch etwas mehr. Unser Harlem Meer ist in weiten Teilen zugefroren, die Enten watscheln durch den Schnee, der auf dem Eis liegt. Der Central Park sieht wunderschön aus. Etliche Kinder toben im Schnee auf Schlitten, obwohl sie eigentlich in der Schule sein müssten – naja, vielleicht ist das ja eine Sportstunde im Home Schooling? Der Schnee lässt die Flächen zusammenwachsen, so dass alles noch großzügiger aussieht. Aber es weht ein scharfer Wind und es ist bitterkalt. Beim Fotografieren werden meine Finger immer steifer, ich kann sie kaum noch in den Taschen meiner Daunenjacke aufwärmen, und irgendwann sind sie zu kalt, um die Handschuhe überzustreifen. Ich beschließe, Richtung Downtown zu gehen und irgendwo eine Subway zu nehmen, mich aufzuwärmen. Eine große Fläche vor der Tavern on the Green ist eine einzige große Schneematsch-Pfütze. Ich hüpfe von Eisfläche zu Eisfläche, um sie zu überqueren, sinke doch irgendwo mittendrin ein und bekomme nasse Füße. Jetzt ist es klar: Ich muss so schnell wie möglich nach Hause zurück. Ich verlasse den Park und will die angrenzende Straße überqueren. Auch hier an der Ampel stauen sich Wasser und Schneematsch in einer riesigen Pfütze – Splash! Splash! Zwei Autos fahren schnell vorbei und spritzen mich von oben bis unten nass. Ich fluche leise und sehr deutsch, nehme die nächste Subway nach Hause und dort eine heiße Dusche. Jetzt weiß ich, warum fast ganz New York heute Gummistiefel trägt.