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Stadtplanung, Architektur, New York, Harlem Christel Tampé Stadtplanung, Architektur, New York, Harlem Christel Tampé

Dazwischen

Unsere Strasse

Unsere Strasse in Harlem

Ich lebe zum ersten Mal in meinem Leben in einem Haus, wo ich nur drinnen bin. Will ich raus, muss ich raus. Komplett, zwei Treppenläufe nach unten und durch zwei Türen hindurch. Es gibt keinen Balkon, und da die Mückengitter vor den Fenstern fest installiert sind, kann ich noch nicht einmal die Hand rausstrecken und schauen, ob es regnet, wie kalt es ist, jemandem auf der Straße winken.... Jetzt, wo ich Covid habe, kann ich mich nicht, wie zu Hause, einfach auf die Terrasse setzen und ein Buch lesen, mit meinem Mann und viel Abstand draußen essen, mit den Nachbarn über den Zaun plaudern. Immerhin scheint viel Sonne in die Wohnung auch das ist nicht selbstverständlich in New York, das ist ein großes Privileg. Wohnung in den unteren Stockwerken sind oft „günstiger“ (naja, nicht wirklich günstig, aber immerhin günstiger), als die mit Blick und vor allem Sonne. Mir fehlt dieses „Dazwischen“, das halbprivate, die Möglichkeit, nicht ganz drinnen und noch nicht ganz draußen zu sein. Mangels Platz für so viele Bewohner auf diese doch gar nicht so große Insel  sind auch die Übergänge vom Privaten zum öffentlichen Raum rar. Hier in unserer Straße sind nur die Treppenaufgänge zu den Brownstonehäusern solche Bereiche. Hier wird gerade liebevoll für Halloween geschmückt, dekoriert und signalisiert, dass diese Haus von Menschen bewohnt ist, die Deko und Grusel mögen, Jahreszeiten, Feste. An anderen Treppen hängen Schilder, die „Loitering“ und das Sitzen auf den Treppen verbieten. Auch das lässt Rückschlüsse zu. Auf unserer Treppe nutzen ganz selten Mal ein, zwei Mieter  die Gelegenheit, in der Sonne sitzend zu lesen oder in Ruhe zu telefonieren. Wenn man hier sitzt, erscheint einem die Straße als Bühne. Wenn man auf der Straße geht, ist es genau umgekehrt. Wer spielt hier für wen? Es ist formal ein halbprivater Raum, und doch ist er viel öffentlicher, ausgesetzter, als ich es kenne. Vielleicht südlicher? Schließlich ist hier das Wetter noch Ende Oktober angenehm warm?

En weiterer Nebeneffekt der Treppenaufgänge: Auf beiden Seiten der Straße müssen die Häuser etwa zwei Meter zurückstehen. Der Straßenraum erweitert sich, es fällt mehr Sonne in die Straßen, die eine großzügige Breite haben und Platz für zwei Reihen Bäume, die Schatten spenden. Hier bei uns in Harlem sind die Häuser in den Streets meistens ein oder zwei Stockwerke niedriger als zum Beispiel an der Upper West Side oder in Greenwich. Das macht die Straßen heller, die Sonne erreicht das Straßenlevel auch im Herbst. Nur die Stirnseiten sind ein Stockwerk höher und schiirmen damit auch den Lärm der Durchgangsavenuen ab.

Ich warte hier auf der Treppe auf den Postboten, dem Zwischenreichwesen, dem, der die Schlüssel zu der ersten Haustüre und der Letterbox hat, der einmal am Tag kurz in alle Häuser hineinkommt und doch nie richtig drinnen ist. Ich muss ihn abfangen, weil es immer noch keinen Schlüssel zu unserem Briefkasten gibt und wir Post von der Bank erwarten. Er erzählt mir, dass er bei diesem Haus Order hat, die Post unter der Gittertüre zu dem Abstellraum unter der Treppe durchzuschieben. Und so warte ich auf den Hausmeister, das Faktotum, das hier die Treppe und den Bürgersteig kehrt, den Müll herausstellt und Zugang zu dem kleinen Abstellraum hat, ein weitere Zwischenreichswesen.

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Harlem Nocturne

Herbstabend in Harlem.

Hotel Theresa

Ich überhole ein Pärchen auf dem Bürgersteig.

Sie (gelangweilt): „I hate you.“

Er: „I hate YOU!“

Sie: „I hate you!“

Er: „I hate you!“

Sie (laut und verärgert): „I hate you!“

Er (nun auch laut):“I HATE YOU“

Sie, brüllt: „I F****NG HATE YOU!“

Er brüllt nun ebenfalls, Sirenen eines Polizeiautos übertönen alles Geschrei.

Unter meinen Füßen riecht der Bürgersteig nach einer missglückten Studentenparty. Ein paar vergorene Früchte eines der Gingko-Bäume in unserer Straße. Herbstabend in Harlem.

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Halloween

An Halloween wird hier ausgiebig geschmückt und gefeiert.

An Halloween wird hier ausgiebig geschmückt und gefeiert.

Der Tod geht um in Harlem – und plötzlich ist die Straße familiär. Hunderte Kinder in bunten und abenteuerlich- schaurig-fantasievollen Kostümen bummeln an der Hand ihrer oft ebenfalls kostümierten Eltern durch die Straßen in unserer Nachbarschaft. Bereits seit Anfang Oktober wurde überall in der Stadt geschmückt: Auf den Verkehrsinseln in der Malcom X Avenue gab es Kürbisse und Strohballen mit Figuren. Auf einer gußeisernen Feuertreppe turnte ein Skelett und riesige Spinnen. Die geschwungenen Treppen der Brownstone Häuser in Harlem, der Upper West Side und in Greenwich wurden zu perfekten Bühnen für herbstlich-schaurige Dekoration mit Hexenhüten, Gespenstern, Spinnweben, Skeletten, sogar Hundeskelette, und natürlich Kürbissen, Kürbissen, Kürbissen. Geschnitze und einfach nur orange große, grüne warzige, gelbe mit Hörnchen, eine wahre Pracht. In Greenwich erkennt man die perfekte und atemberaubende Handschrift von professionellen Dekorateuren und Floristen, in Harlem die Freude der Familien am gemeinsamen Schmücken des Hauseingangs. Plötzlich riecht es überall nach Popcorn statt nach Cannabis. Ein aufgeblasenes Einhorn schmiegt sich um den Prinzessinnenkörper seiner Reiterin. Sie hält, wie fast alle Kinder heute in New York, einen orangen Plastikbecher in der Hand, um die Süßigkeiten einzusammeln. Ein paar Jugendliche mit Alienmaske tragen gleich einen ganzen Einkaufskorb. Halbwüchsige Jugendliche sind eh schon schaurig, mit Maske umso mehr. Ein paar Mütter haben Teufelshörne und Hexenhüte ins Haar gesteckt. Ganz Mutige tragen einen Haarreif mit desolaten Puppenköpfen, die reinsten Kopfgeburten. Väter im Teufelskostüm halten liebevoll ihre Spiderman-Söhne an der Hand. Die Straße schwirrt und summt wie ein Freibad im Sommer, ausgelassen wie ein Schulausflug. Unter den Masken sind alle gleich, es gibt kein Schwarz und Weiß, keine Latinos und keine Touristen, es gibt nur interessante Kostüme oder eher langweilige. Die meisten haben sich richtig Mühe gegeben und genießen die wenig laue, eher frische Luft am Abend. Bands spielen in den Restaurants am Straßenrand. In Greenwich soll es eine ganz tolle Parade geben, Maskierte und Gaukler ziehen auf den touristengesäumten Straßen vorüber. Ich bin misstrauisch, die letzten Paraden in Harlem und am Columbustag waren ja nicht so doll. Aber gerade genieße ich es, in Harlem zu sein. Hier ist es fröhlicher als an der Upper West Side, wo viele Kinder nicht von den Eltern, sondern von Nannies begleitet werden und fast nur in den Geschäften Süßigkeiten erbetteln können. Hier spielen Jazzbands, hier ist Stimmung. Familien sitzen auf den Treppenstufen und verschenken Süßes. Auf den Bürgersteigen ziehen maskierte Menschen vorüber. In den Nachrichten wurde berichtet, dass unten in der City Straßen gesperrt würden, weil Heidi Klum ein „besonders Kostüm“ hätte, welches diese Sperrung erfordere. Weil es so sperrig ist? Weil sie nackt geht? So fragte man sich. Hier in Harlem dagegen ist die Stimmung fröhlich, unbeschwert und unkompliziert. Die Kürbisse leuchten. Die Skelette an den Treppen der Brownstone Häuser zählen aber jetzt schon ihre Stunden, bis sie der Weihnachtsdeko weichen müssen. Vorgestern wurde ein Mann hier erstochen, die ganze Nacht flogen Helikopter über dem Viertel. Der Tod geht um in Harlem.

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