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New York, Manhattan Christel Tampé New York, Manhattan Christel Tampé

If you can make it there…

Alles so schön bunt hier.

Broadway

Ich stehe in New York und bin frei. Ohne Angst. Ohne Verantwortung. Alles kann, nichts muss, oder so ähnlich. Die Stadt steht grau und hoch aufragend vor mir. Ich bin ihr egal. Ich denke an andere Städte. Viele, fast alle Städte, die ich kenne, sind schöner. Eleganter. Zugänglicher. Haben Kultur, Geschichte. Sind gestaltet, haben stadträumliche Abfolgen von Avenuen und Plätzen, sind urban, laden zum Aufenthalt ein. Manhattan tut das nicht für dich. Manhattan genügt sich selbst, ragt steil auf, protzt, glänzt, ist breitbeinig oder einfach nur am längsten, höchsten, steilsten. If you can make it there you’ll make it everywhere oder eben auch nicht. Eher auch nicht. Ich jedenfalls nicht. Kopenhagen- so schön, eine Stadt voller toller Architektur und Design am Meer, du hast eine tolle Altstadt, winkelige Gassen, Geschichte, Design, gute Küche. Auch hohe Preise, das schon. Aber dafür Atmosphäre, Weite, Leben. Paris! Meine erste Liebe. Wenn ich durch New York gehe, versuche ich Stellen zu finden, die ein wenig wie Paris sind. Ich finde sie an den Avenuen, die am Central Park entlang laufen. An der „Mall“ im Central Park. Bei den Verkaufsständen an dem Metropolitan Museum of Art, die ein wenig an die Bouquinisten an der Seine erinnern. Aber eben ohne die Seine-Ufer. Rom- hat Geschichte, Geschichte, Geschichte. Kunst und Kultur, so wie Florenz. Da bekommt man wenigstens etwas für die erlittene schwüle Hitze im Sommer. Kyoto – eine Stadt, die unglaublich schön ist, aber auch ihre merkwürdig hässlichen Seiten hat. Aber das Schöne überwiegt den Konsum, die klimpernden grellen Pachinko-Hallen, den Verkehr, die hässlichen Klimaanlagen, die aus allen Fenstern starren, genau wie in New York. Wenn ich jetzt in Midtwon stehe, um mich herum den infernalischen Lärm der Rettungsfahrzeuge höre, das Auf-und Abschwellen der Sirenen, mir die Ohren zuhalte (und ihr müsst wissen, ich spiele in meiner Freizeit einem Orchester, sitze mit meinem rechten Ohr am Schlagzeug und neben mir die Kollegen vom tiefen Blech, Posaunen, ja, genau, die von Jericho, ich weiß also, was „laut“ ist), dann kenne ich meine Sehnsuchtsorte: Den Weststrand auf dem Darß. Meine Joggingstrecke auf dem Elisabethenweg im Taunus, quer durch den Wald. Und die Weinberge meiner Kindheit in Rheinhessen. Ich bin kein Stadtmensch. I can’t make it there. Ich habe hier in New York schon versagt, bevor ich richtig begonnen habe. Alles kann, nichts muss. Aber hier doch nicht.

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Harlem, New York, Manhattan Christel Tampé Harlem, New York, Manhattan Christel Tampé

Harlem Nocturne

Herbstabend in Harlem.

Hotel Theresa

Ich überhole ein Pärchen auf dem Bürgersteig.

Sie (gelangweilt): „I hate you.“

Er: „I hate YOU!“

Sie: „I hate you!“

Er: „I hate you!“

Sie (laut und verärgert): „I hate you!“

Er (nun auch laut):“I HATE YOU“

Sie, brüllt: „I F****NG HATE YOU!“

Er brüllt nun ebenfalls, Sirenen eines Polizeiautos übertönen alles Geschrei.

Unter meinen Füßen riecht der Bürgersteig nach einer missglückten Studentenparty. Ein paar vergorene Früchte eines der Gingko-Bäume in unserer Straße. Herbstabend in Harlem.

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November

Im Central Park ist es ruhiger geworden.

Im Central Park ist es ruhiger geworden. Die Luft ist klar und kalt. Der Himmel strahlt blau. Die Pfade sind einsamer, einige Bäume haben schon alle Blätter verloren, andere leuchten noch gelb und  rot, wieder andere  sind zum Teil noch grün. Kleine magere Hunde stecken in pyjamaartigen warmen Anzügen, sie tragen bunte Pfotenschoner. Ich laufe zu einem der kleinen Seen und hinter einer Biegung des Weges direkt mitten in eine Gruppe ältere Mönner mit riesigen Objektiven auf ihren Stativen. Ich schaue in ihre Blickrichtung, und zum zweiten Mal sehe ich einen Red Tailed Hawk, einen Rotschwanz-Bussard.

Es ist windig, und obwohl der kleine See geschützt in einer Senke liegt, kräuselt sich das Wasser unter den bunten Bäumen.

Kindergartenkinder toben in neongelben Schutzwesten über eine Rasenfläche.

Eine ältere Dame am Rollator erzählt einer Frau:   „I lost 68 pound.“

Die Platane vor unserem Wohnzimmerfenster hat kaum noch Blätter. Wenn unser Fenster offen ist, kann ich manchmal hören, wie sich ein weiteres Blatt im Wind löst und raschelnd zu Boden fällt.

Wir sind erkältet. Wir haben 12 Stunden geschlafen. In der Stadt, die niemals schläft, holen wir den Schlaf für alle nach.

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Die Stadt und der Plan

Uptown, downtown und das Straßengitter

Uptown, downtown und das Straßengitter

An einer Kreuzung bleibe ich stehen und  hole einen kleinen Stadtplan hervor. Ein älterer Mann spricht mich an: „Do you need help?“ Freundlich sind sie ja hier. Ich sage „No, I am fine, thanks“. Er sagt, dass er es mag, dass ich in einem Stadtplan schaue und nicht auf’s Handy. Ich sage ihm, dass ich das besser finde, weil ich so die ganze Umgebung sehe. Ich brauche das, um die Stadtgeographie besser zu erfassen. Mit jedem Spaziergang, jeder U-Bahn-Fahrt erkunde ich neue Strecken und verknüpfe sie mit den davor erlebten Strecken. Ich laufe die großen, langen Avenuen entlang, merke, wie sie langsam ihren Charakter ändern, Gebäude größer oder kleiner werden, Gerüche sich ändern und Lärm zunimmt. Die Metro-Express-Linie A ist der große Layer, der über allem liegt und mit den Haltestellen Manhattan in Zonen einteilt, die lokale Line C ist das Layer darunter, die Feineinstellung. Die Streets mit ihrem Raster dienen gleichzeitig der Entfernungsbestimmung zu Fuß: 1 Block (die kurze Seite) ist eine Minute zu Fuß, wenn ich nicht fotografiere, nicht staune, nicht schlendere, sondern einfach nur zügig gehe. Eine Längsseite dauert 3 Minuten. Mitten drin liegt der Central Park mit den Eckpunkten Columbus Circle im Süden und dem Apple Store (Free WLAN, gut für Regenpausen) und im Norden der Kreuzung mit dem Cathedral Parkway , der 110th Straße, und der Manhatten Avenue bzw. dem Duke Ellington Denkmal auf der Nordost-ecke. Die Fifth Avenue teilt das Grid der Streets in West und East. Soweit, so gut. Dann gibt es noch das ganze Durcheinander von unübersichtlichen engen Straßen im Financial District ganz im Süden, der durch die Wall Street begrenzt wird,  da hilft der Broadway zur Orientierung, der in diesem Bereich schnurgerade und senkrecht zu den Streets verläuft.  Der Broadway ist eigentlich der Pfad der Ureinwohner, der Insel "Manahatta" („Insel der Hügel“ in der Sprache des Stammes Lenape) und hieß Wickquasgeck. Der Broadway ist eine der längsten Straßen der USA, auf der Insel Manhattan ist der Broadway 21 km lang, insgesamt 53 km. Für mich liegt der Broadway in meiner inneren Stadtgeographie wieder auf einem eigenen Layer.  Dass Manhattan eine Stadt der Hügel ist, merkt man zu Fuß natürlich auch besser, am allerbesten, wenn man seine Einkäufe oder seinen Fotorucksack  schleppt. Das Wort „schleppt“ versteht übrigens jeder an der Upper West Side, es wird im Jiddischen genauso verwendet. Und ich schleppe meinen Fotorucksack am liebsten auf den sanft abfallenden, baumbeschatteten breiten Bürgersteigen entlang des Central Parks. Auf der Westseite geht es sich meiner Meinung nach noch angenehmer, als auf der Ostseite, weil es dort von Nord nach Süd ein gleichmäßiges Gefälle und die tollen altehrwürdigen, riesigen Apartmenthäuser wie z.B. das Dakota auf der anderen Straßenseite gibt. Wenn ich im Osten entlang gehe, wähle ich von Norden kommend zunächst den Weg durch den Park am Harlem Meer entlang, dort ist es gerade morgens früh sehr schön ruhig, und danach durch den Conservatory Garden. Kurz vor dem Metropolitan Museum wechsele ich spätestens dann auf die Straßenseite, denn dort kommt am ehesten französischer Flair auf, mit den Fliegenden Händlern von Kunstdrucken, Schmuck und Külschrankmagneten unter den Bäumen, ganz ähnlich zu den Bouquinisten an der Seine.  Ich laufe und laufe durch die Stadt. Manchmal mit Ziel, manchmal ohne. Immer in  meiner eigenen Geschwindigkeit, bereit, jederzeit zu stoppen, um genauer hinzuschauen, etwas zu entdecken, zu betrachten, ein Foto zu machen. Mit dem Fahrrad wäre das nicht möglich, nur zu Fuß. Mir ist dieses Vorgehen, fast hätte ich gesagt, diese Arbeit, vertraut. Ich habe vor langer Zeit als Architektin und auch als Stadtplanerin gearbeitet. Eine bedauerlich kurze Zeit in meinem Leben, eine Wunde, die zwar schon genügend Schorf trägt, aber noch nicht ganz  verheilt ist. Hier bricht sie wieder auf. Beim Mäandern durch die Straßen registriere ich die unterschiedliche Dichtigkeit des Geschehens, kartiere in Gedanken, bemerke, welches Gebäude zu welcher Zeit entstanden ist, wie sich die Stadt im Laufe der Jahre verändert hat und weiter verändern wird. Ich schaue durch den Sucher meiner Kamera und finde Motive, die sich langsam, über Tage und Wochen zu Themen entwickeln. Und dann und wann breite ich meinen Plan aus, schaue, wo ich bin, wie sich dieser Punkt mit den anderen vernetzt. I am fine.

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