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Christel Tampé Christel Tampé

Sehnsuchtsort?

Wir müssen über Armut reden.

Gebt mir eure Müden, eure Armen,
Eure geknechteten Massen, die frei zu atmen begehren,
Die bemitleidenswerten Abgelehnten eurer gedrängten Küsten;
Schickt sie mir, die Heimatlosen, vom Sturme Getriebenen,
Hoch halt’ ich mein Licht am gold’nen Tore!
Sende sie, die Heimatlosen, vom Sturm Gestoßenen zu mir.
Hoch halte ich meine Fackel am goldenen Tor.

Emma Lazarus (Inschrift auf der Freiheitsstatue)

New York – das ist der Sehnsuchtsort vieler. Die Stadt von Glanz und Glamour, Sex and the City, Spielwiese der Reichen und Schönen (manchmal sind sogar die Reichen schön und die Schönen reich, aber das muss nicht immer so sein), der Milliardäre, die hier praktischerweise schon Billionäre sind und nach denen eine ganze Straße der eitel,  arrogant und vermessen sich in den Himmel streckenden schlanker Hochhäuser benannt ist.

Aber wir müssen über Armut reden.

Das ist ein Thema, dem ich bisher ausgewichen bin. Armut ist hier überall zu sehen und zu erleben, wenn man die Augen nur öffnet. Man kann nicht sagen, man habe es nicht gewusst. In den Straßen und Parks liegen die Obdachlosen. Mal seht ein einsames Zelt in einem etwas abgelegenen Gebüsch im Central Park, mal wurde aus einer Bank mit Hilfe von Kartons und einem Einkaufswagen ein “one Bedroom no bathroom no kitchen” gebaut. Man sieht barfüßige Menschen, die bei nasskaltem Winterwetter mit einer schmutzigen Bettdecke um die Schultern barfuß durch die Straßen laufen. Viele der Obdachlosen haben ein Drogenproblem, sind kaum ansprechbar, starren minutenlang ohne ein Blinzeln der Augenlider in eine nur für sie vorhandene ferne Welt. Andere sind obdachlos, weil sie von irgendwoher (Süd- und Mittelamerika oder Westafrika) hierher geflüchtet sind. Es gibt Flüchtlingsunterkünfte in umgewidmeten Hotels, aber darin dürfen die meisten mittlerweile nur noch 30 Tage untergebracht werden, danach sind sie wieder auf sich selbst oder Hilfe von ihren Communities oder den zahlreichen Kirchen, die oft als soziale Stützpunkte in ihren Vierteln diesen, angewiesen. Hier in Harlem werden an mehreren Stellen an verschiedenen Tagen und zu unterschiedlichen Zeiten Lebensmittel und Kleidung verteilt, es gibt warmes Essen, und es gibt für alles eine lange, lange Schlange Bedürftiger, die oft um den ganzen Block reicht. In der Bronx, so schreibt die New York Times, mieten viele Bedürftige sogenannte „Hot Beds“ – d.h. in winzigen Apartments, meistens in Kellerräumen, sind so viele Schlafplätze wie möglich errichtet, und die werden schichtweise benutzt. Besonders gefährdet sind diese Schlafplätze bei den sintflutartigen Regenfällen, die der Klimawandel in New York hervorgerufen hat, und die mangels Grünflächen und wegen der zu klein konzipierten Kanalisation nicht ablaufen kann.

In der Subway trifft man auf weitere Formen der Armut: Die Obst- oder Süßigkeitenverkäuferinnen südamerikanischer Herkunft. Kleine junge Frauen, die mir kaum bis zur Brust reichen, die meisten tragen ein Baby oder ein Kleinkind in einem Tuch auf dem Rücken, manchmal ist das Kind schon fast halb so groß wie sie selbst. Wenn das Kind etwas älter als ein Jahr ist, wird ein Handy in dem Tuch vor seinem Gesicht platziert und dann kann das Kleine durch irgendwelche Trickfilme auf Youtube scrollen. Das scrollen geht erstaunlich gut, aber die Kinder scrollen und klicken meist verständnislos durch das bunte Geflimmere vor ihren Augen. Und die Mütter tragen einen Bauchladen, der im Sommer geschnitztes Obst, meist auf der Basis von Mango, enthält und im Winter ein buntes Sortiment von Süßigkeiten. So laufen sie den ganzen Tag über die Bahnsteige der einzelnen U-Bahn-Stationen, steigen in die U-Bahnen, durchkämmen die Abteile, wechseln an der nächsten Station in den nächsten Wagon. Ab und zu erbarmt sich jemand und kauft ihnen etwas ab. Dennoch ist dies wahrscheinlich schon die erste Stufe zu einer „erfolgreichen Migration“ – mit minimalen Sprachkenntnissen kann sofort angefangen werden, etwas Geld zu verdienen. Auch an anderen Plätzen entsteht so ein erstes „Business“: An den Warteschlangen vor den Flüchtlingsunterkünften werden von Migranten warme Mahlzeiten, Getränke und Zigaretten  an ihre Nachfolger verkauft, es werden Haarschnitte auf dem Bürgersteig angeboten. Wer sich hochgearbeitet hat, richtet einen Foodtruck ein oder einen kleinen Shop ein. So entsteht zum Beispiel in Queens momentan nach und nach eine neue venezolanische (aus Venezuela kommen zur Zeit die meisten Immigranten nach USA, seit dem letzten Jahr mehr als 100.000) und ecuadorianische Community.  In Queens existiert schon seit langem eine hispanische Nachbarschaft, in der die Integration durch die gleiche Sprache leichter fällt. Und wo schon ein Mitglied einer Familie oder eines Dorfes lebt, ziehen sie andere nach. Hier ist ein erstes Andocken möglich, wenn Geflüchtete nach den oben genannten 30 Tagen (Alleinreisende oder Familien, deren Mitglieder alle volljährig sind) oder maximal 60 Tagen (Familien mit Kindern) die Shelter (Gemeinschaftsunterkünfte) verlassen bzw. einen neuen  Platz beantragen müssen. Tatsächlich wiederholt sich hier das uralte Versprechen New Yorks als Sehnsuchtsort von Immigranten aus aller Welt.

Aber Armut trifft auch alte Menschen, Menschen, die sich mangels Krankenversicherung hoch verschulden mussten. In Harlem übernehmen oft Kirchengemeinden die Organisation von Unterstützung mit warmen Essen, Lebensmitteln, Kleidung und Beratung. Und Kirchen gibt es hier sehr, sehr viele, das ist dann wieder ein eigens Kapitel.

Armut ist hier ständig präsent. In einer Stadt, in der ein Platz im Parkett der Oper schon mal über 1000 Dollar kostet. In der man als Familie knapp 100 Dollar für ein gewöhnliches Frühstück oder ein paar Burger bezahlt. In der die Weihnachtsdekoration funkelt und glitzert und es langsam kalt wird.

 

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Christel Tampé Christel Tampé

Autoantonym

Un-Fall

„Ein Männlein steht im Walde / ganz still und stumm, / wenn ich es nicht umfahre, / dann fahre ich es um.“

Robert Gernhardt

Nun, was soll ich sagen, ich stand nicht im Walde, sonder schlängelte mich wie eine echte New Yorkerin zu Fuß durch den stehenden Verkehr. Es kam, wie es kommen musste: Dank zweier Busse konnte ich nicht alles übersehen und wurde übersehen, ein Moped, welches dringend einmal überholt werden müsste, überholte den Bus, der Fahrer der mich übersah, konnte mich nicht mehr umfahren und fuhr mich also um. Völlig schwerelos flog ich auf den harten Asphalt, wobei sich anhaltende Schmerzen einstellten. Ein Unfall, aber nicht ungefallen. Gottlob nichts gebrochen! Ich konnte aufstehen, leider kein Krönchen richten (wir leben ja in einer Demokratie!), und weitergehen. Freundliche Menschen kümmerten sich, fragten, ob alles okay sei. Der Mopedfahrer fuhr eiligst davon. Bei meinem Oberschenkel ist jetzt dauernd “Blaue Stunde”. Moderne Kunst am Körper.

Und ich übergehe jetzt diese Geschehnisse und fasse den Vorsatz, nur noch bei “Weiß” über die Straße zu gehen, denn “Grün” ist hier das “Weiß”, aber das ist schon wieder eine andere Geschichte…

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Stadtplanung, Architektur, New York, Harlem Christel Tampé Stadtplanung, Architektur, New York, Harlem Christel Tampé

Dazwischen

Unsere Strasse

Unsere Strasse in Harlem

Ich lebe zum ersten Mal in meinem Leben in einem Haus, wo ich nur drinnen bin. Will ich raus, muss ich raus. Komplett, zwei Treppenläufe nach unten und durch zwei Türen hindurch. Es gibt keinen Balkon, und da die Mückengitter vor den Fenstern fest installiert sind, kann ich noch nicht einmal die Hand rausstrecken und schauen, ob es regnet, wie kalt es ist, jemandem auf der Straße winken.... Jetzt, wo ich Covid habe, kann ich mich nicht, wie zu Hause, einfach auf die Terrasse setzen und ein Buch lesen, mit meinem Mann und viel Abstand draußen essen, mit den Nachbarn über den Zaun plaudern. Immerhin scheint viel Sonne in die Wohnung auch das ist nicht selbstverständlich in New York, das ist ein großes Privileg. Wohnung in den unteren Stockwerken sind oft „günstiger“ (naja, nicht wirklich günstig, aber immerhin günstiger), als die mit Blick und vor allem Sonne. Mir fehlt dieses „Dazwischen“, das halbprivate, die Möglichkeit, nicht ganz drinnen und noch nicht ganz draußen zu sein. Mangels Platz für so viele Bewohner auf diese doch gar nicht so große Insel  sind auch die Übergänge vom Privaten zum öffentlichen Raum rar. Hier in unserer Straße sind nur die Treppenaufgänge zu den Brownstonehäusern solche Bereiche. Hier wird gerade liebevoll für Halloween geschmückt, dekoriert und signalisiert, dass diese Haus von Menschen bewohnt ist, die Deko und Grusel mögen, Jahreszeiten, Feste. An anderen Treppen hängen Schilder, die „Loitering“ und das Sitzen auf den Treppen verbieten. Auch das lässt Rückschlüsse zu. Auf unserer Treppe nutzen ganz selten Mal ein, zwei Mieter  die Gelegenheit, in der Sonne sitzend zu lesen oder in Ruhe zu telefonieren. Wenn man hier sitzt, erscheint einem die Straße als Bühne. Wenn man auf der Straße geht, ist es genau umgekehrt. Wer spielt hier für wen? Es ist formal ein halbprivater Raum, und doch ist er viel öffentlicher, ausgesetzter, als ich es kenne. Vielleicht südlicher? Schließlich ist hier das Wetter noch Ende Oktober angenehm warm?

En weiterer Nebeneffekt der Treppenaufgänge: Auf beiden Seiten der Straße müssen die Häuser etwa zwei Meter zurückstehen. Der Straßenraum erweitert sich, es fällt mehr Sonne in die Straßen, die eine großzügige Breite haben und Platz für zwei Reihen Bäume, die Schatten spenden. Hier bei uns in Harlem sind die Häuser in den Streets meistens ein oder zwei Stockwerke niedriger als zum Beispiel an der Upper West Side oder in Greenwich. Das macht die Straßen heller, die Sonne erreicht das Straßenlevel auch im Herbst. Nur die Stirnseiten sind ein Stockwerk höher und schiirmen damit auch den Lärm der Durchgangsavenuen ab.

Ich warte hier auf der Treppe auf den Postboten, dem Zwischenreichwesen, dem, der die Schlüssel zu der ersten Haustüre und der Letterbox hat, der einmal am Tag kurz in alle Häuser hineinkommt und doch nie richtig drinnen ist. Ich muss ihn abfangen, weil es immer noch keinen Schlüssel zu unserem Briefkasten gibt und wir Post von der Bank erwarten. Er erzählt mir, dass er bei diesem Haus Order hat, die Post unter der Gittertüre zu dem Abstellraum unter der Treppe durchzuschieben. Und so warte ich auf den Hausmeister, das Faktotum, das hier die Treppe und den Bürgersteig kehrt, den Müll herausstellt und Zugang zu dem kleinen Abstellraum hat, ein weitere Zwischenreichswesen.

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New York, Manhattan Christel Tampé New York, Manhattan Christel Tampé

If you can make it there…

Alles so schön bunt hier.

Broadway

Ich stehe in New York und bin frei. Ohne Angst. Ohne Verantwortung. Alles kann, nichts muss, oder so ähnlich. Die Stadt steht grau und hoch aufragend vor mir. Ich bin ihr egal. Ich denke an andere Städte. Viele, fast alle Städte, die ich kenne, sind schöner. Eleganter. Zugänglicher. Haben Kultur, Geschichte. Sind gestaltet, haben stadträumliche Abfolgen von Avenuen und Plätzen, sind urban, laden zum Aufenthalt ein. Manhattan tut das nicht für dich. Manhattan genügt sich selbst, ragt steil auf, protzt, glänzt, ist breitbeinig oder einfach nur am längsten, höchsten, steilsten. If you can make it there you’ll make it everywhere oder eben auch nicht. Eher auch nicht. Ich jedenfalls nicht. Kopenhagen- so schön, eine Stadt voller toller Architektur und Design am Meer, du hast eine tolle Altstadt, winkelige Gassen, Geschichte, Design, gute Küche. Auch hohe Preise, das schon. Aber dafür Atmosphäre, Weite, Leben. Paris! Meine erste Liebe. Wenn ich durch New York gehe, versuche ich Stellen zu finden, die ein wenig wie Paris sind. Ich finde sie an den Avenuen, die am Central Park entlang laufen. An der „Mall“ im Central Park. Bei den Verkaufsständen an dem Metropolitan Museum of Art, die ein wenig an die Bouquinisten an der Seine erinnern. Aber eben ohne die Seine-Ufer. Rom- hat Geschichte, Geschichte, Geschichte. Kunst und Kultur, so wie Florenz. Da bekommt man wenigstens etwas für die erlittene schwüle Hitze im Sommer. Kyoto – eine Stadt, die unglaublich schön ist, aber auch ihre merkwürdig hässlichen Seiten hat. Aber das Schöne überwiegt den Konsum, die klimpernden grellen Pachinko-Hallen, den Verkehr, die hässlichen Klimaanlagen, die aus allen Fenstern starren, genau wie in New York. Wenn ich jetzt in Midtwon stehe, um mich herum den infernalischen Lärm der Rettungsfahrzeuge höre, das Auf-und Abschwellen der Sirenen, mir die Ohren zuhalte (und ihr müsst wissen, ich spiele in meiner Freizeit einem Orchester, sitze mit meinem rechten Ohr am Schlagzeug und neben mir die Kollegen vom tiefen Blech, Posaunen, ja, genau, die von Jericho, ich weiß also, was „laut“ ist), dann kenne ich meine Sehnsuchtsorte: Den Weststrand auf dem Darß. Meine Joggingstrecke auf dem Elisabethenweg im Taunus, quer durch den Wald. Und die Weinberge meiner Kindheit in Rheinhessen. Ich bin kein Stadtmensch. I can’t make it there. Ich habe hier in New York schon versagt, bevor ich richtig begonnen habe. Alles kann, nichts muss. Aber hier doch nicht.

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Harlem, New York, Manhattan Christel Tampé Harlem, New York, Manhattan Christel Tampé

Harlem Nocturne

Herbstabend in Harlem.

Hotel Theresa

Ich überhole ein Pärchen auf dem Bürgersteig.

Sie (gelangweilt): „I hate you.“

Er: „I hate YOU!“

Sie: „I hate you!“

Er: „I hate you!“

Sie (laut und verärgert): „I hate you!“

Er (nun auch laut):“I HATE YOU“

Sie, brüllt: „I F****NG HATE YOU!“

Er brüllt nun ebenfalls, Sirenen eines Polizeiautos übertönen alles Geschrei.

Unter meinen Füßen riecht der Bürgersteig nach einer missglückten Studentenparty. Ein paar vergorene Früchte eines der Gingko-Bäume in unserer Straße. Herbstabend in Harlem.

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New York, Manhattan, Central Park Christel Tampé New York, Manhattan, Central Park Christel Tampé

November

Im Central Park ist es ruhiger geworden.

Im Central Park ist es ruhiger geworden. Die Luft ist klar und kalt. Der Himmel strahlt blau. Die Pfade sind einsamer, einige Bäume haben schon alle Blätter verloren, andere leuchten noch gelb und  rot, wieder andere  sind zum Teil noch grün. Kleine magere Hunde stecken in pyjamaartigen warmen Anzügen, sie tragen bunte Pfotenschoner. Ich laufe zu einem der kleinen Seen und hinter einer Biegung des Weges direkt mitten in eine Gruppe ältere Mönner mit riesigen Objektiven auf ihren Stativen. Ich schaue in ihre Blickrichtung, und zum zweiten Mal sehe ich einen Red Tailed Hawk, einen Rotschwanz-Bussard.

Es ist windig, und obwohl der kleine See geschützt in einer Senke liegt, kräuselt sich das Wasser unter den bunten Bäumen.

Kindergartenkinder toben in neongelben Schutzwesten über eine Rasenfläche.

Eine ältere Dame am Rollator erzählt einer Frau:   „I lost 68 pound.“

Die Platane vor unserem Wohnzimmerfenster hat kaum noch Blätter. Wenn unser Fenster offen ist, kann ich manchmal hören, wie sich ein weiteres Blatt im Wind löst und raschelnd zu Boden fällt.

Wir sind erkältet. Wir haben 12 Stunden geschlafen. In der Stadt, die niemals schläft, holen wir den Schlaf für alle nach.

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Harlem, New York Christel Tampé Harlem, New York Christel Tampé

Halloween

An Halloween wird hier ausgiebig geschmückt und gefeiert.

An Halloween wird hier ausgiebig geschmückt und gefeiert.

Der Tod geht um in Harlem – und plötzlich ist die Straße familiär. Hunderte Kinder in bunten und abenteuerlich- schaurig-fantasievollen Kostümen bummeln an der Hand ihrer oft ebenfalls kostümierten Eltern durch die Straßen in unserer Nachbarschaft. Bereits seit Anfang Oktober wurde überall in der Stadt geschmückt: Auf den Verkehrsinseln in der Malcom X Avenue gab es Kürbisse und Strohballen mit Figuren. Auf einer gußeisernen Feuertreppe turnte ein Skelett und riesige Spinnen. Die geschwungenen Treppen der Brownstone Häuser in Harlem, der Upper West Side und in Greenwich wurden zu perfekten Bühnen für herbstlich-schaurige Dekoration mit Hexenhüten, Gespenstern, Spinnweben, Skeletten, sogar Hundeskelette, und natürlich Kürbissen, Kürbissen, Kürbissen. Geschnitze und einfach nur orange große, grüne warzige, gelbe mit Hörnchen, eine wahre Pracht. In Greenwich erkennt man die perfekte und atemberaubende Handschrift von professionellen Dekorateuren und Floristen, in Harlem die Freude der Familien am gemeinsamen Schmücken des Hauseingangs. Plötzlich riecht es überall nach Popcorn statt nach Cannabis. Ein aufgeblasenes Einhorn schmiegt sich um den Prinzessinnenkörper seiner Reiterin. Sie hält, wie fast alle Kinder heute in New York, einen orangen Plastikbecher in der Hand, um die Süßigkeiten einzusammeln. Ein paar Jugendliche mit Alienmaske tragen gleich einen ganzen Einkaufskorb. Halbwüchsige Jugendliche sind eh schon schaurig, mit Maske umso mehr. Ein paar Mütter haben Teufelshörne und Hexenhüte ins Haar gesteckt. Ganz Mutige tragen einen Haarreif mit desolaten Puppenköpfen, die reinsten Kopfgeburten. Väter im Teufelskostüm halten liebevoll ihre Spiderman-Söhne an der Hand. Die Straße schwirrt und summt wie ein Freibad im Sommer, ausgelassen wie ein Schulausflug. Unter den Masken sind alle gleich, es gibt kein Schwarz und Weiß, keine Latinos und keine Touristen, es gibt nur interessante Kostüme oder eher langweilige. Die meisten haben sich richtig Mühe gegeben und genießen die wenig laue, eher frische Luft am Abend. Bands spielen in den Restaurants am Straßenrand. In Greenwich soll es eine ganz tolle Parade geben, Maskierte und Gaukler ziehen auf den touristengesäumten Straßen vorüber. Ich bin misstrauisch, die letzten Paraden in Harlem und am Columbustag waren ja nicht so doll. Aber gerade genieße ich es, in Harlem zu sein. Hier ist es fröhlicher als an der Upper West Side, wo viele Kinder nicht von den Eltern, sondern von Nannies begleitet werden und fast nur in den Geschäften Süßigkeiten erbetteln können. Hier spielen Jazzbands, hier ist Stimmung. Familien sitzen auf den Treppenstufen und verschenken Süßes. Auf den Bürgersteigen ziehen maskierte Menschen vorüber. In den Nachrichten wurde berichtet, dass unten in der City Straßen gesperrt würden, weil Heidi Klum ein „besonders Kostüm“ hätte, welches diese Sperrung erfordere. Weil es so sperrig ist? Weil sie nackt geht? So fragte man sich. Hier in Harlem dagegen ist die Stimmung fröhlich, unbeschwert und unkompliziert. Die Kürbisse leuchten. Die Skelette an den Treppen der Brownstone Häuser zählen aber jetzt schon ihre Stunden, bis sie der Weihnachtsdeko weichen müssen. Vorgestern wurde ein Mann hier erstochen, die ganze Nacht flogen Helikopter über dem Viertel. Der Tod geht um in Harlem.

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New York, Central Park Christel Tampé New York, Central Park Christel Tampé

Oktober

Im Oktober zeigt sich New York von seiner schönsten Seite.

Lieblingsplatz mit Lieblingsplätzchen…

Wenn ein Monat einer Stadt so gut stehen könnte, wie ein passendes Kleid, dann müsste New York Oktober tragen. Das goldene Licht nimmt das Grelle aus der Stadt. Der blaue Himmel ist nicht gleißend, sondern geöffnet für die Sehnsucht nach warmen Tagen. Es gibt keine schwülnassfeuchte schwitzige Hitze mehr. Die Schritte werden raumgreifender, die Bäume leuchten golden. Die alten Fassaden aus Stein, Gußeisen und Beton leuchten und werden durch tiefe Schatten sanft konturiert. Schulklassen auf Abschlußfahrt laufen durch den Central Park und die Museen, aufgeregt und  fröhlich schwatzend, dazwischen europäische Familien mit ihren Teenagern, die gerade Herbstferien haben. Die Sonne steht tiefer in den Straßen, die Stadt leuchtet. Die Vorfreude auf die Feiertage kündet sich schon überall an, aber mittags ist es noch sommerlich warm. Der Oktober schmiegt sich um diese spröde Stadt wie eine wundervolle Umarmung, erdrückt nicht, gibt Raum aber auch Halt und Wärme. Noch einmal genießen. Noch einmal die Avenuen auf der Sonnenseite entlangschlendern. Noch einmal an einem Park innehalten, sich auf eine Bank setzen und einem Jazztrio lauschen. Die Blätter fallen, die Eichhörnchen flitzen und sammeln und verbuddeln die herabgefallenen Nüsse, sie beachten weder Hunde noch die Fotografen, nur den einsamen Rotschwanz-Bussard, der über dem Central Park kreist, den haben sie nervös im Auge.

Am Conservatory Lake im Central Park sitzt oft ein Trompeter, der wunderschönen Jazz spielt. Die Melodie trägt über das Wasser bis zum gegenüberliegenden Ufer. Er improvisiert sehr ruhig und verträumt, gerade hat er „Falling in Love with you“ gespielt, jetzt „Autumn Leaves“. Der Wind wirbelt ein paar Blätter auf. Ich sitze auf einer Bank am gegenüberliegenden Ufer und genieße.

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New York, Manhattan Christel Tampé New York, Manhattan Christel Tampé

Die Stadt und der Plan

Uptown, downtown und das Straßengitter

Uptown, downtown und das Straßengitter

An einer Kreuzung bleibe ich stehen und  hole einen kleinen Stadtplan hervor. Ein älterer Mann spricht mich an: „Do you need help?“ Freundlich sind sie ja hier. Ich sage „No, I am fine, thanks“. Er sagt, dass er es mag, dass ich in einem Stadtplan schaue und nicht auf’s Handy. Ich sage ihm, dass ich das besser finde, weil ich so die ganze Umgebung sehe. Ich brauche das, um die Stadtgeographie besser zu erfassen. Mit jedem Spaziergang, jeder U-Bahn-Fahrt erkunde ich neue Strecken und verknüpfe sie mit den davor erlebten Strecken. Ich laufe die großen, langen Avenuen entlang, merke, wie sie langsam ihren Charakter ändern, Gebäude größer oder kleiner werden, Gerüche sich ändern und Lärm zunimmt. Die Metro-Express-Linie A ist der große Layer, der über allem liegt und mit den Haltestellen Manhattan in Zonen einteilt, die lokale Line C ist das Layer darunter, die Feineinstellung. Die Streets mit ihrem Raster dienen gleichzeitig der Entfernungsbestimmung zu Fuß: 1 Block (die kurze Seite) ist eine Minute zu Fuß, wenn ich nicht fotografiere, nicht staune, nicht schlendere, sondern einfach nur zügig gehe. Eine Längsseite dauert 3 Minuten. Mitten drin liegt der Central Park mit den Eckpunkten Columbus Circle im Süden und dem Apple Store (Free WLAN, gut für Regenpausen) und im Norden der Kreuzung mit dem Cathedral Parkway , der 110th Straße, und der Manhatten Avenue bzw. dem Duke Ellington Denkmal auf der Nordost-ecke. Die Fifth Avenue teilt das Grid der Streets in West und East. Soweit, so gut. Dann gibt es noch das ganze Durcheinander von unübersichtlichen engen Straßen im Financial District ganz im Süden, der durch die Wall Street begrenzt wird,  da hilft der Broadway zur Orientierung, der in diesem Bereich schnurgerade und senkrecht zu den Streets verläuft.  Der Broadway ist eigentlich der Pfad der Ureinwohner, der Insel "Manahatta" („Insel der Hügel“ in der Sprache des Stammes Lenape) und hieß Wickquasgeck. Der Broadway ist eine der längsten Straßen der USA, auf der Insel Manhattan ist der Broadway 21 km lang, insgesamt 53 km. Für mich liegt der Broadway in meiner inneren Stadtgeographie wieder auf einem eigenen Layer.  Dass Manhattan eine Stadt der Hügel ist, merkt man zu Fuß natürlich auch besser, am allerbesten, wenn man seine Einkäufe oder seinen Fotorucksack  schleppt. Das Wort „schleppt“ versteht übrigens jeder an der Upper West Side, es wird im Jiddischen genauso verwendet. Und ich schleppe meinen Fotorucksack am liebsten auf den sanft abfallenden, baumbeschatteten breiten Bürgersteigen entlang des Central Parks. Auf der Westseite geht es sich meiner Meinung nach noch angenehmer, als auf der Ostseite, weil es dort von Nord nach Süd ein gleichmäßiges Gefälle und die tollen altehrwürdigen, riesigen Apartmenthäuser wie z.B. das Dakota auf der anderen Straßenseite gibt. Wenn ich im Osten entlang gehe, wähle ich von Norden kommend zunächst den Weg durch den Park am Harlem Meer entlang, dort ist es gerade morgens früh sehr schön ruhig, und danach durch den Conservatory Garden. Kurz vor dem Metropolitan Museum wechsele ich spätestens dann auf die Straßenseite, denn dort kommt am ehesten französischer Flair auf, mit den Fliegenden Händlern von Kunstdrucken, Schmuck und Külschrankmagneten unter den Bäumen, ganz ähnlich zu den Bouquinisten an der Seine.  Ich laufe und laufe durch die Stadt. Manchmal mit Ziel, manchmal ohne. Immer in  meiner eigenen Geschwindigkeit, bereit, jederzeit zu stoppen, um genauer hinzuschauen, etwas zu entdecken, zu betrachten, ein Foto zu machen. Mit dem Fahrrad wäre das nicht möglich, nur zu Fuß. Mir ist dieses Vorgehen, fast hätte ich gesagt, diese Arbeit, vertraut. Ich habe vor langer Zeit als Architektin und auch als Stadtplanerin gearbeitet. Eine bedauerlich kurze Zeit in meinem Leben, eine Wunde, die zwar schon genügend Schorf trägt, aber noch nicht ganz  verheilt ist. Hier bricht sie wieder auf. Beim Mäandern durch die Straßen registriere ich die unterschiedliche Dichtigkeit des Geschehens, kartiere in Gedanken, bemerke, welches Gebäude zu welcher Zeit entstanden ist, wie sich die Stadt im Laufe der Jahre verändert hat und weiter verändern wird. Ich schaue durch den Sucher meiner Kamera und finde Motive, die sich langsam, über Tage und Wochen zu Themen entwickeln. Und dann und wann breite ich meinen Plan aus, schaue, wo ich bin, wie sich dieser Punkt mit den anderen vernetzt. I am fine.

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Reisen Christel Tampé Reisen Christel Tampé

Über die Unmöglichkeit des Reisens heute

Am schönsten sind die Erinnerungen, die man noch vor sich hat. (Jeanne Moreau)

"The Statue of Liberty Enlightening the World"

War früher eine Reise der Aufbruch ins Ungewisse, haben wir schon vorher 1000 Erinnerungen an unsere Reisziele – Instagram, PInterest, Reiseführer: Wir kommen an und sehen, was wir dort erwarten, haken 101 Dinge ab, die man gesehen haben muss, erleben Paris in 2 Tagen, die 10 TOP-Highlights in London, haben Löffellisten, die man unmöglich vor seinem Tod alle abarbeiten kann, kennen alles, jagen Sensationen und bleiben un-berührt. Vor den wichtigsten Werken der Kunstgeschichte drängeln wir uns in Massen, kaum sind wir davor, drehen wir uns um, machen ein Selfie, wieder ein Haken gesetzt. Die Welt weiß, dass wir dort waren. Aber waren wir dort? Und wenn wir dort sind, wie lange müssen wir bleiben, um mehr zu sehen von der Stadt? Und wenn wir mehr sehen, ab wann ist unser Blick nicht mehr ein touristischer? Wenn wir nichts mehr dort besichtigen, ist es dann endlich Heimat? Haben wir es uns dann angeeignet?

Am schönsten sind die Erinnerungen, die man noch vor sich hat.

Jeanne Moreau

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New York Christel Tampé New York Christel Tampé

Ankommen

Der erste Monat in New York.

New York. So stellt man es sich vor. Hoch aufragend. Hoch aufregend.

Jetzt sind es schon gut 5 Wochen und  ca. 400 km zu Fuß, die ich in New York verbracht habe. Dass es nicht mehr Kilometer geworden sind, lag am heftigen Regen, den wir hier für eine komplette Woche, eigentlich fast jedes Wochenende und einen ganz besonders heftigen Freitag lang (der aus den Nachrichten) hatten, da war dann doch eher Zuhausebleiben angesagt. Zu Hause ist übrigens eine wirklich schöne Wohnung im obersten Stock eines Brownstone-Hauses von1910 in Harlem., in der wir uns sehr wohl fühlen. Sie ist so ruhig, dass wir nachts sogar mit offenem Fenster schlafen können, das Schlafzimmer geht auf einen kleinen Hinterhof hinaus mit Blick auf einen Kirchturm. Aus dem Wohnzimmer sehen wir auf zwei gleichalte schöne Brownstone-Gebäude und über ein niedriges 60er-Jahre Waschbeton-Schulgebäude hinweg bis wir ganz in der Ferne sogar noch „The Edge“ mit seiner Aussichtsplattform am Hudson sehen können. Komischerweise macht auch die Schule überhaupt keinen Lärm, nicht einmal wenn die Kinder morgens gebracht oder nachmittags wieder von den gelben Schulbussen abgeholt werden, erstaunlich.

Unsere Straße hier in Harlem ist auf dem Straßenschild der Black Panther Bewegung gewidmet. Vor dem nächsten Supermarkt an der Malcom X Avenue stehen am Eingang immer zwei Polizisten. Auf der Hauptstraße dahinter bin ich mir meines Migrationshintergrunds völlig bewusst und alle anderen auch. An der Kirchentür werde ich sonntags abgewiesen, „No Tourists“. Integration ist hier schwer, und ich weiß tatsächlich nicht, ob ich mir für die paar Monate noch mehr Mühe geben soll. Immerhin werde ich in den anderen Vierteln von Manhattan gerne von orthodoxen Juden auf Englisch oder Jiddisch gefragt, ob ich jüdisch bin. Ich hoffe dann immer, dass mein „No“ ohne deutschen Akzent ist und frage mich, warum sie die anderen um mich herum nicht fragen?

Ich bin die meisten der langen Avenues komplett entlanggegangen, kenne die meisten Viertel von Manhattan und fast nichts von den anderen Stadtteilen New Yorks. Ich habe ein paar Angewohnheiten angenommen: Ich gehe, wie alle New Yorker, dann über die Straße, wenn kein Auto kommt, egal, ob die Ampel „Rot“ zeigt. Damit ich zügig  über die Straße komme, warte ich nicht auf dem Bürgersteig, sondern schon auf der Straße. Das geht schon seit dem 2. Tag hier ganz selbstverständlich.  Und ich bewege mich zügig, schnell. Wer stehen bleibt, hat schon verloren. Wenn in Google Maps „20 Minuten zu Fuß“ steht,  braucht man hier 13 Minuten. Pro Kurzseite eines Blocks eine Minute, inklusive Wartezeit an den Ampeln.

Ich habe mich an den ständigen Cannabis-Gestank gewöhnt, bin quasi draußen „Passiv-Kiffer“. Nur bei Regen ist es etwas weniger, außer unter den Baugerüsten. Und es gibt ein paar Stellen / Parks, in denen es verboten ist, dort ist es gleich viel ruhiger und netter, gepflegter.  Wie alle New Yorker versuche ich, mich vom Times Square fernzuhalten, der Rummel ist einfach zuviel. In der Subway habe ich den gleichen, desillusionierten Blick ins Leere drauf wie alle, besonders, wenn einzelne „Problembären“ zusteigen - neulich ein angetrunkener „Poet“, der lautstark ein grässliches, selbstgemachtes Gedicht über das Sterben deklamierte und Geld sammeln wollte, oder einer der ständig mit einem Stock auf den Boden klopfte und immer den gleichen Namen rief, man ignoriert sie alle, man ignoriert die leere Flasche, die beim Beschleunigen der U-Bahn in die eine und beim Bremsen in die andere Richtung an einem vorbeikullert und hofft, dass sie das nächste Mal irgendwo weit weg an einer Strebe hängenbleibt.  Man ignoriert den Müll. Wenn man nach Hause kommt, zieht man sofort die Schuhe und die „Train-Kleidung“ aus und setzt sich in frischen, sauberen Klamotten auf’s Sofa.  Andererseits finde ich die Subway enorm praktisch und effizient: Man swipt mit seinem Handy oder der Kreditkarte über die Einlasskontrolle, wenn man öfter als 10 Mal in einer Woche mit der gleichen Karte bzw. dem gleichen Handy geswipt hat, sind alle weiteren Fahrten kostenlos. Egal, wie weit man fährt (unter 2 h), eine Fahrt (auch mit umsteigen) kostet 2,90 $.  Damit könnte ich bis an den Strand fahren (habe ich noch nie gemacht) oder bis kurz vor den Flughafen. Die Züge kommen regelmäßig, ich habe es nicht weit zur nächsten Haltestelle, es gibt Express-Linien, die nur die großen Knotenpunkte anfahren. Mit meiner Lieblingslinie, der „A-Train“ bin ich in 10 Minuten / Viertelstunde in Downtown. Bei schönem Wetter allerdings laufen ich durch den Central Park dorthin und brauche dafür eine Stunde oder etwas mehr, je nachdem, welche krummen Wege ich durch den Park genommen habe oder ob ich einfach die schattigen Avenues am Rand entlang gegangen bin.

Überhaupt, der Central Park! Die Seele dieser grauen Stadt. Mein Ort für’s Menschsein. Ich könnte hier stundenlang entlang schlendern, stromern, joggen (wenn mir meine Füße nicht vom vielen Gehen schon immer weh tun würden) und entdecke immer wieder neue Lieblingsplätze, wunderbare und seltsame Dinge, Jazz-Trios und Quartette, Sänger*innen, einsame Saxophonisten, Poet*innen an pastellfarbenen alten Schreibmaschinen.  und freue mich jetzt schon auf den Herbst, der gerade zaghaft anfängt. Central Park ist mein Wunderland, zum Fotografieren, Zeichnen, auf der Bank sitzen und genießen, andere beobachten, staunen.  Bald werden sich die Blätter bunt färben, es sollen Zugvögel und Monarchfalter auf dem Weg in den Süden hier Station machen,  ich hoffe, dass ich Vieles erleben kann.  

Nach meinen Ausflügen zum Central Park gehe ich gerne auf der Upper West Seite zurück, dort gibt es viele jüdische Läden, in denen man „europäische“ Lebensmittel bekommt, vom Schwarzwälder Schinken (!) über Löwensenf, Dijon-Senf, gute Käse etc. Quasi alles, was sich noch etwas Geschmack bewahrt hat. Und das tatsächlich zu einigermaßen erträglichen Preisen  - wobei das auch schon teuer ist... „Amerikanisches“ Gemüse schmeckt tatsächlich viel weniger intensiv als „deutsches“, die ganzen Bitterstoffe wurden aus Auberginen, Rosenkohl und Brokkoli herausgezüchtet, die Kartoffeln müssen sich mit der Gabel gut matschen lassen und Soße aufnehmen, das war alles „früher“ besser in den USA. Nur Avocados und Orangensaft schmecken tatsächlich besser. Insgesamt gibt es hier sehr viel koschere Lebensmittel, aber auch z.B. koschere Frischhaltefolie, da wundere ich mich dann doch manchmal.

Apropos Preise: Jeder New Yorker braucht nur deine Adresse kennen und den Haustyp und kann dir sofort sagen, was du an Miete zahlst. Er tut das auch ungefragt. Und hat natürlich Recht.  

Essen gehen ist hier unfassbar teuer, erst Recht, wenn man zum Essen vielleicht noch ein Glas Wein trinken möchte. Ein italienischer Kollege meines Mannes geht nur Essen, wenn er einmal im Monat auf Geschäftskosten 3 Kollegen zu einem Arbeitsessen einladen darf (mit max. 1 Glas Wein pro Person). Ansonsten fliegt er lieber über’s Wochenende nach Mailand zu seiner Freundin und isst dort. Takeout-Menüs sind dagegen recht beliebt, aber das haben wir noch nicht ausprobiert, da wir gerne abends zusammen kochen.

Kultur ist nicht staatlich subventioniert, auch das macht sich preislich bemerkbar. Aber wir habe mittlerweile einen winzigen tollen Jazzclub in der Nachbarschaft entdeckt (mit  „Bring you own bottle“!) und eine kostenlose Konzertreihe in der Trinity Church nahe  der Wallstreet. Dennoch sind die Konzerte im Lincoln Center oder der Carnegie Hall schnell ausverkauft, da warten wir noch auf eine Gelegenheit, Tickets zu bekommen, ohne unsere Kinder quasi zu enterben.

New Yorker essen gerne spät zu Abend, also wäre es theoretisch, wenn es nicht soooo teuer wäre, möglich, gegen 17 / 18 Uhr auch ohne Reservierung einen Tisch  in einem Restaurant zu bekommen. Wir hingegen sind abends völlig erschlagen nach all den Eindrücken in dieser Stadt, bzw. den ausufernden Forderungen der Bürokratie, so dass wir früh schlafen gehen. Was wir unter Bürokratie verstehen? Nun, die ersten drei Wochen hat mein Mann an der Uni nur ein Formular nach dem anderen ausgefüllt, jedes ausgefüllte Formular hat ein „neues Level“ freigeschaltet, auf dem weitere Formulare warteten. Alle wollen aber letztlich das Gleiche: Seinen Namen, Geburtsdatum, und seine Social Security Nummer (diese soll man niemals nie nicht jemandem mitteilen, weil sonst übler Missbrauch damit getrieben werden kann, aber jeder will sie haben).  Dazu kommen aber aus „Sicherheitsgründen“ noch die Namen und Geburtsdaten der Eltern, und dann neben der Adresse noch die Telefonnummer. Die letzten beiden Angaben immer noch verhindern jegliches Weiterkommen beim Versuch, ein Bankkonto zu eröffnen: Unsere internationale Telefonnummer passt nicht ins Formular, wird vom Computer nicht akzeptiert. Und die Bankkarten können uns nicht zugesendet werden, weil bei unserem Haus der Schlüssel zum Briefkasten verloren gegangen ist (wir haben den Briefkasten einmal vom abgefangenen Briefträger öffnen lassen und darin die Post von Jahren und allen jemals dort lebenden Bewohnern gefunden).  In der Bank abholen ist aber auch nicht möglich. Irgendwann ist es uns doch gelungen,  für kurze Zeit einen Bankaccount zu eröffnen, als wir uns dann online angemeldet hatten, wurde uns der Zugang verweigert „souspicious activity“ – vermutlich, weil unsere Rechner oder Handy als „ausländisch“ erkannt wurde.  Das bedeutet natürlich auch, dass wir also insgesamt keine wirklich bürgerliche, vertrauenswürdige Existenz haben. Dafür aber hatten wir beide eine Woche nach unserer Einreise immerhin eine Fortbildung zum Thema „Was muss beachtet werden bei der Beantragung vom Visum und der Einreise“.  Fragt mich bitte, was ich hier alles verbessern könnte!

So, ich habe noch nichts über die Museen, Touristenattraktionen, Sehenswürdigkeiten etc.  geschrieben. Vielleicht kommt das demnächst. Wenn man einmal anfängt,  merkt man erst, wie viel es hier gibt. Man wird einfach nicht fertig. Nicht fertig mit dem Besichtigen, nicht fertig mit dem Fotografieren, nicht fertig mit dem Schreiben. Aber abends, da bin ich immerhin völlig fertig.

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